Die außerordentliche fristlose Kündigung wegen Krankheit

Überblick

Die ordentliche Kündigung wegen Krankheit ist in der arbeitsrechtlichen Praxis ein Klassiker. Dagegen wird eine außerordentlich fristlose Kündigung wegen Krankheit von Arbeitgebern deutlich seltener ausgesprochen. Das liegt daran, dass die damit verbundenen rechtlichen Hürden sind viel zu hoch sind. Arbeitgeber scheitern oft daran und belassen es dann bei einer krankheitsbedingten ordentlichen Kündigung. Was aber, wenn der Arbeitnehmer aufgrund tarifvertraglicher Regelungen nicht mehr ordentlich kündbar ist?

In einer Sache hat sich das Landesarbeitsgericht Köln hat (Landesarbeitsgericht Köln Urteil vom 20.06.2024 – 8 Sa 560/23) damit auseinandergesetzt und die Unwirksamkeit der außerordentlich fristlosen Kündigung wegen Krankheit bestätigt. Schon das Arbeitsgericht Siegburg (Arbeitsgericht Siegburg Urteil vom 20.09.2023 – 3 Ca 726/23) war in der ersten Instanz zum selben Ergebnis gelangt.

Wie war der konkrete Fall vor dem Arbeitsgericht Siegburg und dem Landesarbeitsgericht Köln gelagert?

Der Kläger ist seit knapp 20 Jahren bei der Beklagten beschäftigt und arbeitete zuletzt in der Telefonvermittlung für die Bundespolizei. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung, der eine ordentliche Kündigung ausschloss. Denn nach § 34 Abs. 2 S. 1 TvÖD ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, das länger als 15 Jahre andauert und der Arbeitnehmer das 40. Lebensjahr vollendet hat, ausgeschlossen. Insofern ist in solchen Fällen nur noch die außerordentliche Kündigung möglich. Davon machte der Arbeitgeber Gebrauch.

Zwischen 2020 und 2023 war der Kläger immer wieder krankheitsbedingt arbeitsunfähig (häufige Kurzerkrankungen):

  • Mai 2020 bis Mai 2021 insgesamt 182 Arbeitstage, davon 67 Arbeitstage mit Entgeltfortzahlung
  • Mai 2021 bis Mai 2022 insgesamt 77 Arbeitstage, davon 67 Arbeitstage mit Entgeltfortzahlung
  • Mai 2022 bis Mai 2023 insgesamt 92 Arbeitstage, davon all 92 Arbeitstage

Die Arbeitgeberin hatte in diesen Jahren die genannten Arbeitstage entsprechende Entgeltfortzahlung zu leisten. Sie war der Ansicht, die Vielzahl von Kurzerkrankungen führe zu untragbaren Belastungen und massiven Störungen im Betriebsablauf, insbesondere in der für die Bundespolizei wichtigen Telefonzentrale. Da der Kläger außerdem zweimal ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) abgelehnt hatte, sprach die Beklagte am 10.05.2023 eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 31.12.2023 aus.

Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Siegburg und machte geltend, seine früheren Erkrankungen seien überwunden. Bandscheiben- und Meniskusprobleme seien erfolgreich behandelt, private Ursachen für Migräneanfälle geklärt, und sein Immunsystem gestärkt. Daher bestehe keine negative Gesundheitsprognose mehr.

Das Arbeitsgericht Siegburg folgte dieser Argumentation und erklärte die Kündigung für unwirksam. Die beklagte Arbeitgeberin legte Berufung ein, blieb jedoch auch vor dem Landesarbeitsgericht Köln erfolglos. Beide Instanzen stellten klar: Die Voraussetzungen für eine außerordentliche fristlose Kündigung wegen Krankheit lagen nicht vor.

Was ist eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist?

Eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist betrifft Arbeitnehmer, die nach Gesetz, Tarifvertrag oder Arbeitsvertrag ordentlich unkündbar sind. Solche Unkündbarkeiten finden sich häufig im öffentlichen Dienst oder in langfristigen Arbeitsverhältnissen mit tariflicher Sonderregelung.

Um Arbeitgebern dennoch die Möglichkeit zu geben, sich von einem Arbeitnehmer zu trennen, hat die Rechtsprechung die Konstruktion der außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist entwickelt. Dabei wird formal eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB ausgesprochen – allerdings nicht fristlos, sondern unter Einhaltung einer fiktiven Kündigungsfrist. Praktisch bedeutet das: Das Arbeitsverhältnis endet nicht sofort, sondern erst nach Ablauf derjenigen Frist, die bei einer ordentlichen Kündigung gegolten hätte, wenn die Kündigung als ordentliche Kündigung ausgesprochen wäre.

Wichtig ist, dass auch bei einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist die strengen Voraussetzungen des § 626 BGB vorliegen müssen. Das heißt, es muss ein wichtiger Grund gegeben sein, der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt. Ohne diesen wichtigen Grund kann eine solche Kündigung nicht wirksam ausgesprochen werden.

Die Auslauffrist mildert also die Härte einer sofortigen Beendigung, ändert aber nichts daran, dass die Hürden für die außerordentliche Kündigung sehr hoch bleiben. Hinsichtlich des anschließenden Bezugs von Arbeitslosengeld I dürfte jedoch eine Sperrzeit nach § 159 SGB III (Ruhen des Anspruchs bei Sperrzeit) nicht zu verhängen sein. Denn grundsätzlich stellt eine außerordentliche Kündigung eine verhaltensbedingte Kündigung dar, die auf eine schwerwiegende Pflichtverletzung zurückzuführen ist. Das ist bei einer solchen außerordentlich fristlosen Kündigung wegen Krankheit in der Regel nicht der Fall.

Wann kommt eine außerordentliche fristlose Kündigung wegen Krankheit in Betracht?

Grundsätzlich müssen hierfür erstmal die folgenden klassischen Voraussetzungen einer ordentlichen Kündigung wegen Krankheit vorliegen: 

Die Rechtsprechung hat für krankheitsbedingte Kündigungen ein grundlegendes dreistufiges Prüfungsmodell entwickelt:

  1. Negative Gesundheitsprognose
    Zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs muss feststehen, dass auch in Zukunft mit weiteren erheblichen Krankheitszeiten des Arbeitnehmers zu rechnen ist. Das bedeutet: Der Gesundheitszustand des Arbeitnehmers wird sich voraussichtlich nicht bessern. Der Blick ist dabei in die Zukunft zu richten. Was die Vergangenheit angeht, so sind die vom Arbeitgeber darzustellenden früheren Krankheitszeiten jedoch ein wichtiges Indiz dafür, jedoch kein Beweis. Der Beweis ist durch den Arbeitnehmer häufig in Form von ärztlichen Attesten oder von Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte zu erbringen. Für Letzteres muss der klagende Arbeitnehmer seine Ärzte von der Verschwiegenheitsverpflichtung befreien. Hierfür reicht es meistens aus, wenn der Arbeitnehmer diese Erklärung gegenüber dem Arbeitsgericht, bei dem die Kündigungsschutzklage anhängig ist, abgibt.
  2. Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen
    Die vorhergesagten Ausfallzeiten müssen den Betrieb spürbar belasten. Das kann sich zum Beispiel in hohen Entgeltfortzahlungskosten niederschlagen oder in organisatorischen Problemen durch wiederkehrende Störungen im Betriebsablauf. Der Arbeitgeber hat hierzu den entsprechenden Beweis zu erbringen.
  3. Interessenabwägung zulasten des Arbeitnehmers
    Schließlich muss eine Abwägung der Interessen ergeben, dass die betrieblichen Belastungen so schwer wiegen, dass sie dem Arbeitgeber nicht länger zuzumuten sind. Hierbei berücksichtigt das Gericht auch persönliche Faktoren des Arbeitnehmers wie Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit oder Unterhaltspflichten.

Die Rechtsprechung unterscheidet dabei folgende typische Fallgruppen krankheitsbedingter Kündigungen:

  • Dauererkrankung, wenn der Arbeitnehmer auf absehbare Zeit gar nicht mehr arbeitsfähig sein wird.
  • Langanhaltende Erkrankung, wenn das Ende der Arbeitsunfähigkeit zwar nicht absehbar, aber auch nicht ausgeschlossen ist
  • Häufige Kurzerkrankungen, wenn der Arbeitnehmer immer wieder für kurze Zeiträume ausfällt und dadurch hohe Kosten oder erhebliche organisatorische Probleme entstehen.
  • Krankheitsbedingte Minderleistung, wenn der Arbeitnehmer zwar arbeitsfähig ist, aber wegen gesundheitlicher Einschränkungen dauerhaft deutlich weniger leisten kann als vergleichbare Kollegen.

 

Damit nun auf Grundlage dieser Kriterien die außerordentliche fristlose Kündigung wegen Krankheit gerechtfertigt werden kann, müssen diese Bedingungen deutlich strenger ausgelegt werden als bei einer ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung.

Sowohl die zu erwartenden Fehlzeiten als auch die daraus folgenden Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen müssen weit über das hinausgehen, was für eine ordentliche Kündigung ausreichen würde. Es genügt nicht, dass der Arbeitnehmer häufiger fehlt – vielmehr muss der Austausch von Arbeit gegen Lohn in einem Maße gestört sein, dass ein gravierendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung entsteht. In einem weiteren Schritt ist schließlich abzuwägen, ob diese schwerwiegende Störung dem Arbeitgeber dauerhaft zugemutet werden kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann ein wichtiger Grund nur dann vorliegen, wenn die Belastung durch Entgeltfortzahlungskosten im Durchschnitt mehr als ein Drittel der jährlichen Arbeitstage betrifft (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 25.04.2018 – 2 AZR 6/18).

 

Welche Rolle spielt die außerordentlich fristlose Kündigung in der arbeitsrechtlichen Praxis?

Die aktuellen Zahlen zum Krankheitsstand in Deutschland zeigen ein deutliches Bild: Arbeitnehmer fehlen im Durchschnitt so lange wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Während die durchschnittliche Zahl der Fehltage pro Person 2007 noch bei rund acht Tagen lag, stieg sie bis 2024 auf Werte zwischen 15 und über 20 Tagen pro Jahr an (Quelle: Statistisches Bundesamt). Das bedeutet, dass rechnerisch jeder Arbeitnehmer im Jahr etwa drei Wochen krankheitsbedingt fehlt. Besonders auffällig ist, dass nicht nur Langzeiterkrankungen, etwa aufgrund chronischer Beschwerden oder psychischer Leiden, zugenommen haben, sondern auch häufige Kurzerkrankungen einen erheblichen Anteil an den Fehltagen ausmachen. Inwiefern das mit der Tatsache in Verbindung steht, dass seit der Wiedervereinigung auch die Zahl der Erwerbstätigen auf einem Höchststand ist, soll hier nicht weiter thematisiert werden.

Diese Entwicklung schlägt sich inzwischen spürbar in der arbeitsrechtlichen Praxis nieder. Arbeitgeber sehen sich mit steigenden Entgeltfortzahlungskosten und zunehmenden organisatorischen Belastungen konfrontiert. Gerade in Bereichen mit hohem Personalbedarf – wie Pflege, Erziehung oder Verwaltung – führen kurzfristige Ausfälle zu erheblichen Störungen im Betriebsablauf. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass Arbeitgeber häufiger versuchen, krankheitsbedingte Kündigungen auszusprechen, um die Belastung zu reduzieren. Zwar bleiben die Hürden für eine außerordentliche fristlose Kündigung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts extrem hoch. Doch je stärker der allgemeine Krankheitsstand steigt, desto eher wird auch in den Betrieben die Bereitschaft wachsen, diesen Weg zumindest zu versuchen.

Gerade kleinere und mittlere Arbeitgeber stehen bei häufigen Kurzerkrankungen vor erheblichen finanziellen Belastungen, da sie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zunächst vollständig tragen müssen. Um diese Last abzufedern, sieht das Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) das sogenannte Umlageverfahren U1 vor. Arbeitgeber mit bis zu 30 Beschäftigten zahlen hierbei monatlich Beiträge an die Krankenkassen und erhalten im Gegenzug einen Teil der Entgeltfortzahlungskosten zurückerstattet. Je nach gewähltem Tarif und Krankenkasse können so zwischen 40 % und 80 % der Aufwendungen erstattet werden. Auf diese Weise wirkt das Umlageverfahren wie eine Art Entgeltfortzahlungsversicherung und mildert das Risiko, das mit wiederkehrenden, kurzfristigen Krankheitsausfällen verbunden ist. Gerade in Zeiten, in denen der Krankheitsstand in Deutschland stark gestiegen ist, verschafft dieses System den betroffenen Betrieben eine spürbare finanzielle Entlastung.

Die aktuelle Lage zeigt also zweierlei: Einerseits ist der Krankheitsstand in Deutschland so hoch wie selten zuvor, andererseits wird dies in den kommenden Jahren voraussichtlich zu einem Anstieg von Kündigungen führen, die mit Krankheit begründet werden. Arbeitnehmer sollten sich deshalb darauf einstellen, dass Arbeitgeber verstärkt auf dieses Instrument zurückgreifen – und ihre Rechte im Rahmen einer Kündigungsschutzklage kennen.

Sollten Sie eine außerordentlich fristlose oder eine ordentliche Kündigung wegen Krankheit erhalten haben, stehen wir Ihnen im Rahmen eines kostenlosen Erstgespräches gerne zur Verfügung. Häufig lohnt es sich gegen solche Kündigungen vorzugehen. Dies ist jedoch immer im Einzelfall zu prüfen. Hierfür teilen wir gerne mit Ihnen unsere fachliche Expertise. Rufen Sie uns gerne an.