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Kündigung erhalten, sofort krank geworden. Was für ein Zufall!
Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ist für Arbeitnehmer häufig emotional belastend. Bevor die Kündigung erklärt wird, haben Arbeitnehmer schon viel aushalten müssen: Es sind Gespräche vorangegangen, Abmahnungen ausgesprochen und gedroht worden. Das Misstrauen ist groß. Was wird der Arbeitgeber wohl noch aushecken, um mich zu drangsalieren?
Wenn die Arbeitnehmer dann noch die ordentliche Kündigung erhalten, lassen sich viele anschließend krankschreiben. Gleichzeitig erheben die Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht, um gegen die Kündigung vorzugehen.
Das Bundesarbeitsgericht hat nun entschieden, welcher Beweiswert einer AU-Bescheinigung zukommt, wenn die Arbeitsunfähigkeit zufälligerweise genau mit Erhalt der Kündigung beginnt und mit Ablauf der Kündigungsfrist endet (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 8. September 2021 – 5 AZR 149/21).
Eine kaufmännische Angestellte war bei einer Personalvermittlung beschäftigt. Sie kündigte selbst das Arbeitsverhältnis ordentlich und reichte mit ihrer Kündigung eine AU-Bescheinigung ein. Hier war ausgewiesen, dass die Arbeitnehmerin (passenderweise) bis zum Ablauf ihrer Kündigungsfrist krankgeschrieben ist. Der Arbeitgeber verweigerte daraufhin die Zahlung ihres Lohnes für diesen Zeitraum der Kündigungsfrist und der Arbeitsunfähigkeit, weil er an ihrer Arbeitsunfähigkeit zweifelte. Die Arbeitnehmerin klagte ihre Vergütung ein. Das Arbeitsgericht Braunschweig (Arbeitsgericht Braunschweig Urteil vom 24.07.2019 – 3 Ca 95/19) sowie das Landesarbeitsgericht Niedersachsen gaben der Arbeitnehmerin recht (Landesarbeitsgericht Niedersachsen Urteil vom 13.10.2020 – 10 Sa 619/19). Das Bundesarbeitsgericht kassierte die Urteile und gab dem Arbeitgeber recht. Der Arbeitgeber brauchte die Arbeitnehmerin für diesen Zeitraum der Kündigungsfrist nicht zu bezahlen.
Welchen Beweiswert hat eine AU-Bescheinigung?
Liegt eine Au-Bescheinigung vor, können Arbeitgeber nur mit sehr großen Mühen die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers in Zweifel ziehen. Denn der AU-Bescheinigung kommt ein sehr hoher Beweiswert zu. Der Arbeitgeber kann deshalb vor dem Arbeitsgericht nicht einfach die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers bestreiten, nach dem Motto: „Du bist doch gar nicht krank!“ Er muss vielmehr tatsächliche Umstände darlegen, die seine Zweifel bekräftigen und diese Umstände auch gegebenenfalls beweisen. Trägt der Arbeitgeber diese Umstände substantiiert vor, muss der Arbeitnehmer darauf reagieren und Stellung dazu nehmen. Er kann sich nicht einfach zurücklehnen und nichts tun. Im Zweifel muss der Arbeitnehmer sogar seine behandelnden Ärzte von der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht entbinden, damit sie als Zeugen vor Gericht aussagen und die Zweifel des Arbeitgebers ausräumen dürfen.
Darf ich mich krank schreiben lassen, nachdem ich eine Kündigung erhalten habe?
Wenn Arbeitnehmer arbeitsunfähig sind, sind sie arbeitsunfähig. Das ist auch völlig egal, wann das passiert, ob vor oder nach der Kündigung. Nach dem Urteilsspruch des Bundesarbeitsgerichts ist der Beweiswert einer AU-Bescheinigung allerdings dann geschwächt, wenn der Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit mit dem Zeitraum der Kündigungsfrist übereinstimmt. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn ich heute meine Kündigung bekomme, die Kündigungsfrist bis zum Ende des nächsten Monats läuft und ich zufälligerweise ab morgen arbeitsunfähig bin und das tag genau bis zum Ablauf dieser Kündigungsfrist. In diesem Falle, so das Bundesarbeitsgericht, darf der Arbeitgeber einfacher als sonst die Arbeitsunfähigkeit in Zweifel ziehen. Der Beweiswert der AU-Bescheinigung ist leichter zu erschüttern.
Wie können Arbeitnehmer ihre Arbeitsunfähigkeit beweisen?
Wenn es dem Arbeitgeber gelingen sollte, den Beweiswert der AU-Bescheinigung zu erschüttern, muss der Arbeitnehmer anschließend vortragen, was der Grund für die Arbeitsunfähigkeit wirklich war. Das heißt, welche Krankheiten er hatte, wie diese sich gesundheitlich ausgewirkt hatten, wie er deshalb eingeschränkt war und welche Medikamente er nehmen musste. Trägt der Arbeitnehmer diese Daten nicht vor und beruft sich lediglich auf die AU-Bescheinigung, muss er die Ärzte von der Verschwiegenheitspflicht entbinden, damit diese dann vor Gericht als Zeugen aussagen können.
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