Kündigung wegen Körperverletzung

Überblick

Ist eine Kündigung wegen Körperverletzung möglich?

Grundsätzlich kommt eine Kündigung wegen Körperverletzung in Betracht. Der Arbeitgeber hat die Pflicht dafür Sorge zu tragen, dass seine Arbeitnehmer keinen Körperverletzungen ausgesetzt werden. Zudem hat er ein eigenes Interesse daran, dass die betriebliche Zusammenarbeit wegen Schlägereien oder körperlichen Angriffen nicht gefährdet wird, da die Arbeitskräfte für die Aufrechterhaltung des Betriebs notwendig sind. Deshalb stellt jeder körperliche Angriff zwischen Arbeitnehmern eine Verletzung jener Nebenpflichten dar, hierauf Rücksicht zu nehmen. Diese Pflichtverletzung ist so schwerwiegend, dass eine Kündigung wegen Körperverletzung regelmäßig gerechtfertigt ist. Hierfür reicht in der Regel schon eine Ohrfeige aus (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 6. 10. 2005 – 2 AZR 280/04).

Häufig gehen Tätlichkeiten mit (rassistischen) Beleidigungen, sexuellen Belästigungen oder Bedrohungen einher. Der Arbeitgeber kann diese als zusätzliche Kündigungsgründe heranziehen.

Es können sich jedoch Fragen ergeben, ob es sich um eine Notwehrsituation gehandelt hat oder der betroffene Arbeitnehmer provoziert wurde. Sodann stellt sich die Frage, ob schon eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt ist oder nur eine ordentliche Kündigung wegen Körperverletzung hätte ausgesprochen werden müssen.

Beispiel ordentliche Kündigung wegen Körperverletzung

Ein betrunkener Arbeitnehmer versucht seine gehörlose und schwerbehinderte Kollegin während der Arbeitszeit auf die Wange zu küssen, die das ausdrücklich ablehnt. Nachdem er ihr anschließend ein Bonbon anbietet und sie dieses ebenfalls ablehnt, ohrfeigt er sie. Er erhält eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung wegen Körperverletzung. Das Arbeitsgericht betrachtete die außerordentliche Kündigung als unwirksam, die ordentliche Kündigung jedoch für wirksam an. Grund hierfür sei, dass der 26jährige Arbeitnehmer 5 Jahre ohne Beanstandung bei seinem Arbeitgeber gearbeitet habe. Diese Rechtsprechung wurde dann vom Bundesarbeitsgericht bestätigt (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 6. Oktober 2005 – 2 AZR 280/04).

 

Sind Körperverletzungen unter Arbeitnehmern Grund für eine fristlose Kündigung?

Tätliche Angriffe unter Arbeitskollegen sind grundsätzlich dazu geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darzustellen. Deshalb ist auch damit zu rechnen, dass eine außerordentliche Kündigung wegen Körperverletzung erfolgen wird.

Kann der Arbeitnehmer aber seine Tat rechtfertigen oder entschuldigen (bspw. weil er in Notwehr gehandelt hat), kommt eine außerordentliche Kündigung nicht in Betracht. Hier würde sich dann die Frage stellen, ob eine ordentliche Kündigung noch gerechtfertigt wäre.

Beispiel außerordentliche Kündigung wegen Körperverletzung

Ein Arbeitnehmer streitet sich mit einem Kollegen und kippt über ihn eine heiße Tasse Tee aus (Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 5. August 2002 – 5 Sa 517/02).

 

Kann ein Scherz, der ungewollt Körperverletzungen zur Folge hat, ein Kündigungsgrund sein?

Grundsätzlich ja. Wenn Arbeitnehmer untereinander einen Scherz spielen und dabei der andere – ungewollt oder billigend in Kauf nehmend – eine Verletzung erleidet, kann dies einen Kündigungsgrund darstellen.

Beispiel Scherz Kündigung wegen Körperverletzung

Ein Gerüstbauer wirft einen D-Böller in ein Dixie-Klo, in dem sein Kollege gerade sitzt. Der Feuerwerkskörper explodiert in dem Dixie-Klo. Der Kollege wird erheblich verletzt, erleidet Verbrennungen am Oberschenkel, Hodensack und Leiste. Er wird deshalb drei Wochen arbeitsunfähig. Hier hat das Gericht die außerordentliche Kündigung wegen Körperverletzung für wirksam erarchtet (Arbeitsgericht Krefeld, Urteil vom 21. Dezember 2012 – 2 Ca 2010/12).

 

Müssen Arbeitnehmer nach einer Tätlichkeit erst abgemahnt werden?

Nein, eine vorherige Abmahnung ist grundsätzlich nicht erforderlich. Schon ein einmaliger körperlicher Angriff kann für eine Kündigung wegen Körperverletzung ausreichen. Denn das Fehlverhalten ist derart schwerwiegend, dass auch mit einer Kündigung die Schwere der Tat nicht beseitigt werden kann.

 

Müssen Arbeitnehmer nach einer Tätlichkeit erst versetzt werden?

Häufig fragen betroffene Arbeitnehmer, ob der Arbeitgeber Ihnen nach einer körperlichen Auseinandersetzung nicht hätte erst einen anderen Arbeitsplatz anbieten müssen, bevor er die Kündigung wegen Körperverletzung ausspricht, damit bspw. die Streitparteien sich nicht mehr über den Weg laufen. Ob Arbeitnehmer dies verlangen können, hängt davon ab, wie es überhaupt zur Tätlichkeit gekommen ist, ob am neuen Arbeitsplatz sich ein derartiges Fehlverhalten wiederholen könnte und auch wie intensiv die Folgen des Angriffs waren. Je geringer die Schuld des betroffenen Arbeitnehmers und die Folgen der Auseinandersetzung waren, umso eher wird der Arbeitgeber einen anderen Arbeitsplatz anbieten müssen.

Beispiel Versetzung nach körperlichem Angriff

Der Arbeitnehmer ist in einer Schlachterei tätig und geht mit dem Messer auf seinen Kollegen los. Dabei verletzt er ihn nur leicht an der Hand, weil andere Kollegen dazwischen gegangen sind und Schlimmeres vermeiden konnten. Hier wird von einem Arbeitgeber nicht zu erwarten sein, dass er den angreifenden Arbeitnehmer erst versetzen muss bevor er ihm eine Kündigung wegen Körperverletzung ausspricht.

Anders jedoch, wenn ein Arbeitnehmer dem anderen Arbeitnehmer im Büro eine Mappe mit Gewalt aus der Hand reißt und es hierbei zu einem kleinen, aber ungefährlichen Handgemenge kommt, ohne dass jemand verletzt wird. Wenn hier aufgrund der „kleinen“ Auseinandersetzung von einem einmaligen Vorfall ausgegangen werden kann, kann eine Versetzung als milderes Mittel in Betracht kommen, bevor eine Kündigung wegen Körperverletzung ausgesprochen wird.

 

Sind Tätlichkeiten gegenüber Arbeitgebern ein Kündigungsgrund?

Grundsätzlich ja. Für Tätlichkeiten gegenüber Arbeitgebern und seinen Familienangehörigen gelten die gleichen Regelungen, wie bei Tätlichkeiten gegenüber Kollegen.

 

Sind Tätlichkeiten gegenüber Kunden ein Kündigungsgrund?

Häufig werden Arbeitnehmer nicht nur gegenüber ihren Kollegen und Vorgesetzten, sondern auch gegenüber ihren Kunden, Lieferanten etc. tätlich. Dies kann eine Kündigung wegen Körperverletzung ebenfalls nach sich ziehen. Strittig kann lediglich sein, ob schon eine fristlose Kündigung gerechtfertigt wäre oder nur eine ordentliche Kündigung.

Beispiel Tätlichkeit gegenüber Kunden

Eine Altenpflegerin in der Nachtwache misshandelt und verletzt eine kranke Heimbewohnerin, weil die sich dagegen wehrte ins Bett zu gehen. Hier hat das Gericht die außerordentliche Kündigung für unwirksam, die ordentliche Kündigung für wirksam erachtet. Grund dafür war, dass die Sensibilität der Arbeitnehmerin in ihrer über 13jährigen Dienstzeit erheblich abgenommen habe. Dies würde zwar ihre Taten nicht entschuldigen oder rechtfertigen, sei aber im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zur außerordentlichen Kündigung zu berücksichtigen (Landesarbeitsgericht Hessen, Urteil vom 30. 3. 2000 – 5/8 Sa 1230/99).

 

Kann ich eine Kündigung wegen Körperverletzung erhalten, obwohl ich den Streit nicht angefangen habe?

Auch das ist grundsätzlich möglich. Wer den Streit oder den körperlichen Angriff angefangen hat, spielt erstmal keine Rolle. Es ist nur entscheidend, ob man sich in Notwehr verteidigt hat oder nicht. Hier sind die Grenzen natürlich fließend und es ist nicht einfach, das Gericht von der eigenen Unschuld zu überzeugen.

 

Gilt bei Körperverletzungen im Arbeitsverhältnis die Unschuldsvermutung?

Nein, die gilt nur im Strafprozess. Im Kündigungsschutzverfahren hat dieser Grundsatz der Unschuldsvermutung keine Bedeutung. Der Arbeitgeber muss zwar die Kündigungsgründe beweisen, der betroffene Arbeitnehmer seine Gründe wiederum plausibel darlegen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Arbeitgeber nicht kündigen kann. Solange die Voraussetzungen der Verdachtskündigung vorliegen, kann die Kündigung auch wirksam sein.

 

Kann ich wegen der Körperverletzung eines Kollegen außerhalb der Arbeit gekündigt werden?

Ein außerhalb der Arbeitszeit begangenes Fehlverhalten muss grundsätzlich Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis haben, damit es kündigungsrelevant ist. Bei Körperverletzung nimmt die Rechtsprechung regelmäßig solche Auswirkungen an (Landesarbeitsgericht Düsseldorf Urt. v. 26.06.2008 – 13 Sa 506/08). Nur in den seltenen Fällen wird bei Körperverletzungen eine Auswirkung auf das Arbeitsverhältnis zu verneinen sein.

Beispiel Körperverletzung außerhalb der Arbeitszeit

Ein geschiedenes Ehepaar, das zwei gemeinsame Kinder hat, arbeitet weiterhin im selben Betrieb. Der Mann lauert seiner Ex-Frau nachts vor ihrer Wohnung auf und sticht mehrmals mit einem Küchenmesser auf sie ein. Die Ex-Frau überlebt den Angriff schwer traumatisiert. Der Arbeitgeber erklärt dem Mann die außerordentliche Kündigung wegen Körperverletzung. Die Kündigung ist wirksam (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Urteil vom 06.01.2009 – 5 Sa 313/08).

 

Kann ich gekündigt werden, wenn ich mich nur an einer anderen Tätlichkeit beteiligt habe?

Wenn es sich um eine proaktive Beteiligung handelt, dürfte dies genauso wie eine Tätlichkeit bewertet werden. Werden Arbeitnehmer allerdings (unfreiwillig) in die Auseinandersetzung hineingezogen, so haben Arbeitnehmer gute Gründe gegen eine Kündigung. Dies gilt umso mehr, wenn sie sich dann auch in Notwehr verteidigen mussten. Die Grenzen zwischen proaktiver Beteiligung und in-den-Streit-hingezogen-werden sind jedoch fließend. Deshalb kann es bei der Beweiswürdigung durch das Gericht regelmäßig zu Schwierigkeiten kommen.

 

Kann ich gekündigt werden, wenn ich eine Körperverletzung nur versucht habe?

Ja, auch der bloße Versuch kann schon ausreichend für eine wirksame Kündigung wegen Körperverletzung sein, wenn eine tatsächliche Gefährdung für Leib und Leben bestanden hat. Dann ist es auch egal, woran genau der Versuch gescheitert ist. Es wird davon abhängen, ob der Arbeitnehmer mit solchen Mitteln eine Körperverletzung versucht hat, die geeignet waren auch entsprechende Verletzungen hervorzurufen.

Beispiel Kündigung wegen versuchter Körperverletzung

Der Arbeitnehmer wirft mit einem 5kg schweren Metallteil nach seinem Kollegen, der etwa 20 Meter entfernt steht. Das Metallteil verfehlt den Kollegen jedoch. Die außerordentliche Kündigung des Arbeitnehmers war wirksam. Er habe nämlich die Gefährdung der Gesundheit, womöglich sogar des Lebens seines Kollegen mit dem Wurf des schweren Metallteils in Kauf genommen. Dass der Arbeitnehmer behauptet, er wäre vorher von dem Kollegen provoziert worden, ändere daran auch nichts (Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. November 2012 – 3 Sa 376/12).

 

Ist die bloße Androhung von Körperverletzungen schon ein Kündigungsgrund?

Die Androhung von Körperverletzungen kann schon dann Grund für eine außerordentliche Kündigung sein, wenn es sich nicht nur um leere, sondern ernst gemeinte Drohungen handelt. Ob eine Drohung ernst gemeint war, ist immer den jeweiligen Umständen zu entnehmen.

Beispiel Androhung von Körperverletzungen Kündigungsgrund

Ein Mitarbeiter sagt zum anderen: „Hau ab, sonst zieh ich mein Messer und jag dir das zwischen die Rippen!“ und „Hau bloß ab oder ich schlag dir eine!“ (Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09.10.2019 – 7 Sa 62/19).

Ein stark alkoholisierter Mitarbeiter bedroht seinen Chef mit einer Schusswaffe (Landesarbeitsgericht Düsseldorf Urteil vom 15.12.1997 – 18 Sa 1390/97).

 

Kann ich einer Kündigung wegen Körperverletzung entgehen, wenn ich mich nach einer Tätlichkeit entschuldige?

Es ist grundsätzlich richtig, sich nach einer Tätlichkeit (auch gegenseitig) zu entschuldigen. Rechtlich gesehen ist das auch von Bedeutung bei einer außerordentlichen Kündigung. Der außerordentlichen Kündigung liegt immer die sog. negative Prognose zugrunde. Der Arbeitgeber rechnet bei einer schwerwiegenden Pflichtverletzung damit, dass sich das Fehlverhalten nicht ändern wird. Entschuldigt man sich nun nach einer Tätlichkeit, kann diese negative Prognose abgeschwächt werden. Das wirkt sich wiederum auf die Bewertung der außerordentlichen Kündigung aus.

 

Muss der Arbeitgeber die Tätlichkeit bei einer Kündigung beweisen?

Grundsätzlich ja. Wenn der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer wegen dessen Tätlichkeit außerordentlich kündigt, dann muss er auch diese Kündigungsgründe beweisen. Er kann die Tat oder den Verdacht beweisen. Ihn trifft die sog. Darlegungs- und Beweislast. Behauptet der Arbeitnehmer daraufhin in einer plausiblen Weise, dass er bspw. in Notwehr gehandelt habe, dann muss der Arbeitgeber wiederum beweisen, dass hier keine Notwehrsituation vorlag. (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 06.09.2007 – 2 AZR 264/06). Bleiben Zweifel offen und lässt sich der tatsächliche Anlass und der Verlauf der Tätlichkeit nicht klären, geht das zu Lasten des Arbeitgebers (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 18.09.2008 – 2 AZR 1039/06).