Die Videoaufnahme als Beweis im Kündigungsschutzverfahren

Überblick

Das Bundesarbeitsgericht beschäftigte sich in einer Entscheidung im Sommer 2023 mit der Frage, inwiefern Videoaufnahmen als Beweis im Kündigungsschutzverfahren verwertet werden dürfen. Dabei handelte es sich um einen Fall, in dem ein Gießerei-Mitarbeiter beschuldigt wurde Mehrarbeit nur vorgetäuscht zu haben, um sich ein zusätzliches Entgelt zu sichern.

Der Arbeitnehmer, der in dem Unternehmen als Teamleiter tätig war, soll an einem Tag seinen Arbeitsplatz zwar aufgesucht, diesen jedoch vor Beginn seiner Schicht wieder verlassen haben. Damit täuschte er seinen Arbeitgeber darüber, dass er seinen Dienst an diesem Tag erbracht habe. Dies habe die Auswertung einer Videoüberwachung am Werkstor ergeben, nachdem ein anonymer Hinweis an den Arbeitgeber erfolgte. Auf die an einem Tor befestigte Kamera wurde durch ein grafisches Symbol hingewiesen. Auch unabhängig davon war die Kamera von den Mitarbeitern nicht zu übersehen.

Der Arbeitgeber kündigte dem Mann nach ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats außerordentlich, fristlos und hilfsweise ordentlich. Der Beschäftigte zog daraufhin vor das Arbeitsgericht. Er bestritt die Vorwürfe und berief sich zudem darauf, dass die Erkenntnisse aus der Videoüberwachung einem Beweisverwertungsverbot unterlägen.

Nachdem das Arbeitsgericht Hannover (Urteil vom 11.09.2020 – 6 Ca 116/19) ihm Recht gab, ging der Arbeitgeber in Berufung vor das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (Urteil vom 06.07.2022 – 8 Sa 1149/20), scheiterte dort jedoch. Der Arbeitgeber legte daraufhin Revision beim Bundesarbeitsgericht ein. Das Bundesarbeitsgericht entschied zugunsten des Arbeitgebers. Es bestätigte zum einen die Feststellungen der Vorinstanzen, dass die Aufnahmen gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen. Gleichzeitig erlaubte es, dass die Videoaufnahmen als Beweis in einem Kündigungsschutzverfahren verwertet werden dürfen (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 29.06.2023 – 2 AZR 296/22).

Ist Videoüberwachung am Arbeitsplatz erlaubt?

Grundsätzlich ist Videoüberwachung am Arbeitsplatz nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Dabei ist zwischen öffentlich zugänglichen Räumen und nicht öffentlichen Bereichen, sowie offener Videoüberwachung und heimlicher Videoüberwachung zu unterscheiden. Wichtig ist zudem, ob es sich nur um eine Übertragung der Bilder oder auch um eine Speicherung der Bilder handelt.

In öffentlich zugänglichen Räumen ist die Videoüberwachung nach § 4 Bundesdatenschutzgesetz erlaubt, wenn eine Abwägung zwischen den Interessen des Arbeitgebers und den Rechten der Beschäftigten und Kunden dies rechtfertigt. Die Überwachung muss einen der in § 4 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz genannten Zwecke verfolgen, etwa den Schutz von Personen oder Eigentum. Zudem muss sie geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein. Mildere Mittel müssen ausgeschöpft werden. Auch ist der Umfang der Überwachung auf das Notwendige zu begrenzen. Öffentlich zugängliche Räume können beispielsweise Verkaufsräume, Schalterhallen oder Bahnsteige sein.

Bei nicht öffentlichen Räumen handelt es sich dagegen um solche, die nur von bestimmten Personen betreten werden dürfen. Das können beispielsweise Pausenräume der Mitarbeiter oder das Betriebsgelände sein.

Die Zulässigkeit richtet sich nach der allgemeinen Vorschrift des § 26 Bundesdatenschutzgesetz. Auch hier findet eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall statt. Die heimliche Überwachung ist nur als letztes Mittel zulässig, wenn ein konkreter Verdacht auf strafbare Handlungen oder schwere Verfehlungen eines Beschäftigten vorliegt und der Arbeitgeber seine Interessen nicht durch mildere Maßnahmen schützen kann. In einem Kündigungsschutzprozess muss der Arbeitgeber dies vortragen und beweisen.  

Der räumliche Umfang und die Intensität der Videoüberwachung sind sowohl in öffentlichen als auch in nichtöffentlichen Bereichen auf das erforderliche Maß zu beschränken. Je stärker die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten berührt werden, desto gewichtiger müssen die Interessen des Arbeitgebers sein. Eine totale Überwachung ganzer Betriebsstätten ist unzulässig. Sensible Bereiche wie Umkleiden oder Sanitärräume dürfen grundsätzlich nicht überwacht werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Videoüberwachung am Arbeitsplatz ist nicht generell verboten. Sie muss aber durch überwiegende Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt und verhältnismäßig sein. Der bloße Wunsch nach Leistungs- und Verhaltenskontrolle der Mitarbeiter reicht hierfür nicht aus. Je nach den Umständen kann die Installation von Videokameras aber zum Schutz von Personen und Eigentum oder zur Aufklärung von Straftaten zulässig sein, wenn die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten gewahrt bleiben. Dies setzt eine sorgfältige Abwägung und Einzelfallbetrachtung voraus.

Beispiele für zulässige Videoüberwachungen am Arbeitsplatz

Videoüberwachung im Kassenbereich eines Supermarktes

Die Kassiererin eines Supermarkts wurde verdächtigt Gelder zu unterschlagen. Der Arbeitgeber führte daraufhin eine versteckte Videoüberwachung durch, die seinen Verdacht bestätigte. Das Bundesarbeitsgericht hielt die Überwachung für zulässig, da der konkrete Verdacht einer Straftat bestand und der Sachverhalt nicht mit milderen Mitteln aufzuklären war (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 27.03.2003 – 2 AZR 51/02).

Videoüberwachung in einem Spielcasino

Das Gericht erachtete die offene Videoüberwachung in einem Spielcasino zur Verhinderung von Manipulationen an Spielautomaten als rechtmäßig. Die Überwachung beschränkte sich auf den Automatenbereich und den Ein- und Ausgangsbereich. Auch waren die Beschäftigten über die Maßnahme informiert worden (Arbeitsgericht Berlin Beschluss vom 16.02.2011 – 60 BV 15369/10).

Videoüberwachung im Kassenbereich einer Tankstelle

Das Arbeitsgericht billigte die Überwachung des Kassenbereichs einer Tankstelle. Es überwogen die Sicherheitsinteressen des Arbeitgebers, zumal sich die Kameras nur auf einen örtlich eng umgrenzten Bereich richteten. Auch war die Überwachung nicht exzessiv, da der Arbeitgeber die Videodaten nur stichprobenartig auswertete (Arbeitsgericht Wesel Beschluss vom 21.09.2012 – 2 BV 9/12).

Beispiel unzulässige Videoüberwachungen am Arbeitsplatz

Videoüberwachung eines LKW-Fahrers in der Fahrerkabine

Der Arbeitgeber hatte das Sozialverhalten seiner LKW-Fahrer durch eine Videokamera in der Fahrerkabine überwacht. Das Bundesarbeitsgericht stufte dies als unzulässig ein. Die Überwachung diente allein der Leistungs- und Verhaltenskontrolle. Auch war sie nicht auf bestimmte Personen begrenzt, sondern erfasste unterschiedslos sämtliche Fahrer (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 20.10.2016 – 2 AZR 395/15).

Videoüberwachung des gesamten Verkaufsraums einer Tankstelle

Eine durchgehende verdeckte Videoüberwachung des gesamten Verkaufsraums einer Tankstelle wurde für unverhältnismäßig erachtet. Es bestand kein auf Tatsachen gestützter Verdacht gegen konkrete Personen. Mildere Mittel zur Vermeidung von Unterschlagungen hatte der Arbeitgeber nicht ausgeschöpft (Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil vom 24. Mai 2019 – 2 Sa 214/18).

Videoüberwachung von Umkleideräumen oder Sanitäranlagen der Arbeitnehmer

Überwacht der Arbeitgeber Umkleideräume oder Sanitäranlagen, die von Arbeitnehmern genutzt werden, so wird das regelmäßig unzulässig sein. Dies ist ein derart schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer, dass eine Rechtfertigung nicht in Frage kommen wird (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 23.08.2018 – 2 AZR 133/18).

Darf der Arbeitgeber Videoaufnahmen als Beweismittel in einer Kündigungsschutzklage heranziehen?

Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts dürfen Arbeitgeber grundsätzlich Videoaufnahmen in einem Kündigungsschutzprozess als Beweismittel nutzen, selbst wenn bei der Erhebung der Aufnahmen datenschutzrechtliche Vorschriften nicht vollständig eingehalten wurden.

Das Gericht sieht in Kündigungsschutzverfahren kein generelles Verwertungsverbot für Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung, die ein vorsätzliches und vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers in allen Punkten mit den Vorgaben des Datenschutzrechts in Einklang steht.

Nur in Ausnahmefällen kann sich ein Beweisverwertungsverbot ergeben, wenn die Aufnahmen unter schwerwiegender Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers zustande gekommen sind. Ansonsten überwiegt das Interesse an einer funktionierenden Rechtspflege und an der Aufklärung der tatsächlichen Geschehnisse.

Der Arbeitgeber darf somit in der Regel auch Videoaufnahmen in den Prozess einbringen, um eine außerordentliche und fristlose Kündigung zu begründen. Etwaige datenschutzrechtliche Defizite bei der Erhebung der Aufnahmen führen nicht automatisch zu einem Ausschluss dieses Beweismittels.

Dürfen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren, dass in einer Kündigungsschutzklage Videoaufnahmen nicht als Beweismittel genutzt werden dürfen?

Genau das ist der Punkt, der nun vom Bundesarbeitsgericht höchstrichterlich (neu) entschieden wurde. Bisher war es nicht ganz eindeutig, ob Arbeitnehmer und Arbeitgeber vereinbaren dürfen, dass Videoaufnahmen nicht als Beweismittel in einer Kündigungsschutzklage verwertet dürfen. Nun hat das höchste deutsche Arbeitsgericht klargestellt, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht wirksam vereinbaren können, die Verwendung von Videoaufzeichnungen als Beweismittel in einem Kündigungsschutzprozess auszuschließen. Eine solche Absprache zwischen den Arbeitsvertrags- oder Betriebsparteien wäre unzulässig.

Das Gericht begründet dies damit, dass ein derartiges Verwertungsverbot das Recht des Arbeitgebers zur außerordentlichen Kündigung übermäßig einschränken würde. Denn es ist nicht erlaubt, auf das Recht zur außerordentlichen Kündigung zu verzichten oder dieses vertraglich einzuschränken. Es muss jederzeit möglich sein, eine außerordentliche Kündigung auszusprechen, wenn die rechtlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen. Videoaufnahmen sind oft die zuverlässigste Quelle, um diese Voraussetzungen nachzuweisen.

Ein vertraglicher Ausschluss von Videoaufzeichnungen als Beweismittel liefe daher auf einen Verzicht auf das Recht zur außerordentlichen Kündigung hinaus oder würde dieses Recht zumindest unangemessen erschweren. Eine Vereinbarung mit einer solchen Folge wäre jedoch gesetzeswidrig und damit nichtig.

Die Entscheidung stellt klar, dass das Recht zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund nicht beliebig abbedungen oder eingeschränkt werden kann – auch nicht durch freiwillige Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Entstehen Arbeitnehmern Ansprüche, wenn unzulässige Videoaufnahmen als Beweis im Kündigungsschutzprozess verwertet werden?

Ja, das ist (vorerst jedenfalls) nicht ausgeschlossen. Eine Frage ist die nach der Verwertbarkeit von Videoaufnahmen als Beweismittel in der Kündigungsschutzklage. Die andere Frage ist, ob damit nicht trotzdem den Arbeitnehmern beispielsweise Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche entstehen, die diese auch in der Kündigungsschutzklage noch geltend machen können. Sollte der Arbeitnehmer die Kündigungsschutzklage gewinnen, so können sich bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch Unterlassungsansprüche dahingehend ergeben, dass der Arbeitgeber zukünftig die jeweiligen Videoaufnahmen nicht mehr fortsetzen darf.

Sollte auch bei Ihnen die Videoüberwachung als Beweismittel in einer Kündigungsschutzklage ein Problem werden, prüfen wir Ihre Ansprüche. Melden Sie sich gerne bei uns für eine kostenlose Erstberatung.