Verdachtskündigung

Überblick

Was ist eine Verdachtskündigung?

Bei der Verdachtskündigung haben Arbeitgeber den Verdacht, dass der Arbeitnehmer eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen hat, können dies aber nicht ganz beweisen. Können sie die Begehung der schwerwiegenden Pflichtverletzung beweisen, haben sie dagegen die Möglichkeit eine Tatkündigung auszusprechen. Beide Kündigungen haben unterschiedliche Voraussetzungen, die nachfolgend erklärt werden.

Beispiel Verdachtskündigung

Ein Arbeitnehmer arbeitet als Kassierer in einem Supermarkt. Die Kassen aller Mitarbeiter werden abends abgerechnet. Bei dem Arbeitnehmer fehlen regelmäßig Gelder in seiner Kasse. Der Arbeitgeber kann nicht beweisen, dass der Arbeitnehmer die Gelder veruntreut hat. Er kann aber beweisen, dass es die Kasse des Arbeitnehmers ist und die Gelder immer dann fehlen sind, nachdem er gearbeitet hat. Insofern kann hier ein begründeter Verdacht des Arbeitgebers vorliegen und der Arbeitgeber eine Verdachtskündigung aussprechen.

Die Verdachtskündigung kann als ordentliche Kündigung oder als außerordentliche Kündigung erklärt werden. Ihr liegen viele formelle Anforderungen zugrunde. So müssen Arbeitgeber die Regelfrist von einer Woche zur Anhörung des Arbeitnehmers, die Anhörungsfristen des Betriebsrates und die Kündigungserklärungsfrist bei einer außerordentlichen Verdachtskündigung beachten. Deshalb können Arbeitgeber hier schnell Fehler begehen, die zur Unwirksamkeit der Verdachtskündigung führen können.

 

Was sind die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung?

Die Verdachtskündigung hat folgende besondere Voraussetzungen:

  • Dringender Tatverdacht

Es muss eine hohe Wahrscheinlichkeit gegeben sein, dass der Arbeitnehmer eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen hat. Diese Wahrscheinlichkeit muss sich wiederum auf objektive Tatsachen beziehen, weshalb bloße Vermutungen nicht ausreichen.

  • Aufklärung des Sachverhalts

Beim bloßen Verdacht besteht auch immer die Gefahr, dass ein Mitarbeiter zu Unrecht einer Tat bezichtigt wird. Deshalb muss der Arbeitgeber selbst ermitteln und vor allem den betroffenen Arbeitnehmer zu den Vorwürfen anhören, bevor er die Verdachtskündigung ausspricht. In dieser Anhörung muss der Arbeitnehmer mit den konkreten Vorwürfen konfrontiert werden, damit er auch die Möglichkeit erhält, diese Vorwürfe ganz konkret zu entkräften.

  • Verhältnismäßigkeit

Auch bei der Tatkündigung ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

Liegt beispielsweise eine nur geringfügige Pflichtverletzung vor und eine ansonsten sehr lange zurückliegende einwandfreie Beschäftigungszeit, kann die Erklärung einer außerordentlichen Verdachtskündigung schon daran scheitern. In solchen Fällen müssen Arbeitgeber alles ihnen Zumutbare getan haben, um die Kündigung zu vermeiden. Dies kann im Zweifel auch sein, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen anderen Arbeitsplatz anbieten muss, beispielsweise in Form einer Änderungskündigung.

Die Verdachtskündigung kann als ordentliche Kündigung oder außerordentliche Kündigung ausgesprochen werden.

 

Wann ist der Verdacht für eine Verdachtskündigung ausreichend?

Bei der Verdachtskündigung kann die Tat selbst nicht bewiesen werden. Der Verdacht muss sich allerdings auf objektive Indizien stützen, die eine Schlussfolgerung auf die Tatbegehung zulassen. Wann eine solche Schlussfolgerung ausreicht, liegt allein im Ermessen des Gerichts. Entscheidend hierfür ist der § 286 Abs. 1 Zivilprozessordnung:

„Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.“

Das bedeutet, dass das Gericht mit einem erforderlichen Grad an Gewissheit davon überzeugt sein muss, dass die Indizien den Verdacht rechtfertigen. Diese Indizien müssen wiederum unstrittig oder bewiesen sein. Es muss nicht die Tat selbst bewiesen werden. Es geht darum, dass die Umstände der Tat bewiesen sind und deshalb die Möglichkeit der Tatbegehung naheliegen.

Kriterien der Rechtsprechung zu den Überzeugungsanforderungen zur Verdachtskündigung

Die Rechtsprechung sagt hierzu, dass ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit hinsichtlich der Tatbegehung erreicht sein muss, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig ausschließen zu müssen. Deshalb müsse auch die Täterschaft nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen. Auch müsse das Gericht nicht erklären, warum sie die noch vorhandene Restzweifel nicht überwinden konnte. Zudem muss es nicht darlegen, dass auch andere Erklärungen theoretisch denkbar gewesen wären. Dies sind die Grundsätze, wonach das Gericht zur Überzeugung gelangen kann, ob ein begründeter Verdacht vorliegt oder nicht (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 31.01.2019 – 2 AZR 426/18).

Beispiel ausreichender Verdacht bei Verdachtskündigung

Der Arbeitnehmer hat einen Dienstwagen und darf diesen mit der Tankkarte des Arbeitgebers auf dessen Kosten betanken. Der Arbeitgeber betreibt auch eigene Tankstellen. Der Arbeitgeber prüft dann die Tankbelege. Dabei stellt er fest, dass innerhalb von 11 Monaten die Tankkarte 89 mal benutzt wurde, in 14 Fällen tankte der Arbeitnehmer mehr als das Volumen des Dienstwagens von 93 Litern zulässt, elf dieser Betankungen fanden an Feiertagen, Wochenenden oder während des Urlaubs des Arbeitnehmers statt. Nur einmal tankte der Arbeitnehmer an der Tankstelle des Arbeitgebers, im Übrigen immer an Fremdtankstellen. In acht Fällen wurde der Dienstwagen zwar an den Tankstellen des Arbeitgebers gewaschen, aber an denselben Tagen an einer Fremdtankstelle betankt. Nachdem der Arbeitnehmer angehört wurde, erklärt der Arbeitgeber die außerordentliche Verdachtskündigung, weil der dringende Verdacht bestehe, dass der Arbeitnehmer die Tankkarte für private Zwecke missbraucht habe.

Hier hat das Bundesarbeitsgericht angenommen, dass der Verdacht berechtigt und die Verdachtskündigung wirksam ist. Auch wenn die private Nutzung der Tankkarte selbst nicht bewiesen werden könne, sprachen die genannten Umstände dafür, dass der Verdacht gerechtfertigt sei (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 31.01.2019 – 2 AZR 426/18).

 

Ist die Verdachtskündigung eine personenbedingte Kündigung?

Ja. Die Verdachtskündigung ist stets eine personenbedingte Kündigung. Das Arbeitsverhältnis ist ein personenbezogenes Dauerschuldverhältnis. Es setzt deshalb ein gewisses Vertrauen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber voraus. Eine solche Eignung der Person besteht dann nicht mehr, wenn (schwerwiegende) Verdachtsmomente gegenüber Arbeitnehmer bestehen, die für verständig und gerecht abwägende Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als unzumutbar erscheinen lassen. Es ist auch nicht notwendig, dass dieser Verdacht unmittelbar mit der Person der Arbeitnehmer zusammenhängen muss (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 31.01.2019 – 2 AZR 426/18).

 

Greift bei einer Verdachtskündigung die Unschuldsvermutung?

Nein. Die Unschuldsvermutung ist ein Grundsatz, der bei strafrechtlichen Verfahren greifen kann. Dies ergibt sich auch aus Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention, wonach jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, bis zum Beweis ihrer Schuld als unschuldig gilt. Hier ist zweifellos die Rede von Straftaten und Anklagen, nicht von Kündigungsschutzklagen.

 

Ist bei einer Verdachtskündigung eine vorherige Abmahnung erforderlich?

Nein, grundsätzlich nicht. Bei der Verdachtskündigung handelt es sich um eine personenbedingte Kündigung, der die Eignung für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses fehlt. Abmahnungen sind dagegen immer auf konkrete Verhalten, auf sogenannte steuerbare Verhalten, gerichtet. Sie können lediglich Vorläufer einer verhaltensbedingten Kündigung sein. Eine Tatkündigung ist eine solche verhaltensbedingte Kündigung, dann muss eine vorherige Abmahnung erfolgen. Das ist bei einer Verdachtskündigung jedoch nicht der Fall.

 

Gibt es Unterschiede zwischen einer ordentlichen und außerordentlichen Verdachtskündigung?

Grundsätzlich müssen für beide Kündigungsarten die jeweiligen Voraussetzungen erfüllt sein. Gemeinsam ist beiden Kündigungsarten jedoch, dass eine ordentliche Verdachtskündigung nur dann im Sinne des § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetzes gerechtfertigt ist, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung auch rechtfertigen würden, wenn die Tatbegehung beweisbar wäre. Deshalb muss der Verdacht sich auf die Begehung einer schwerwiegenden Pflichtverletzung beziehen. Diese schwerwiegende Pflichtverletzung ist zugleich ein „wichtiger Grund“ gemäß § 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch bei einer außerordentlichen Kündigung. Es bleibt dann dem Arbeitgeber überlassen, ob er ordentlich oder außerordentlich kündigen will.

Die Kündigungserklärungsfrist bei der außerordentlichen Verdachtskündigung

Bei der außerordentlichen Verdachtskündigung trägt insbesondere die Kündigungserklärungsfrist eine besondere Bedeutung: Die Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch besagt, dass die außerordentliche (Verdachts-) Kündigung innerhalb von zwei Wochen dem Arbeitnehmer zugehen muss, nachdem der Kündigungsberechtigte von den Kündigungsgründen Kenntnis erlangt hat. Von den Kündigungsgründen hat er erst dann Kenntnis erlangt, wenn der Arbeitgeber seine Ermittlungen zu dem Verdacht, zu der auch die Anhörung des Arbeitnehmers gehört, abgeschlossen hat. Der Arbeitgeber darf die Ermittlungen jedoch nicht unnötig hinauszögern. Erst nach Abschluss beginnt die Kündigungserklärungsfrist von zwei Wochen. Will der Arbeitgeber eine ordentliche Verdachtskündigung erklären, so ist er an diese Kündigungserklärungsfrist nicht gebunden, die nur für außerordentliche Kündigungen gilt.

 

Muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor einer Verdachtskündigung anhören?

Ja, der Arbeitnehmer muss grundsätzlich vor einer Kündigung angehört werden. Dies ist nicht zu verwechseln mit der Anhörung des Betriebsrats vor einer Kündigung, die muss ebenfalls erfolgen, hier geht es um die Anhörung des Arbeitnehmers. Die Anhörung kann mündlich oder schriftlich erfolgen.

 

Wann ist die Anhörung nicht ordnungsgemäß?

Die Anhörung vor einer Verdachtskündigung muss ordnungsgemäß durchgeführt werden. Sie ist immer dann ordnungsgemäß, wenn

  • der Arbeitnehmer sich zu den Vorwürfen noch einlassen kann und
  • ihm ausreichende Gelegenheit geboten wird, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen.

Dennoch kann der Arbeitnehmer schon zu Beginn der Anhörung zur Verdachtskündigung entschlossen sein, dass er die Kündigung in jedem Falle aussprechen werde, egal, wie sich der Arbeitnehmer dazu einlässt. Diesen Eindruck darf er aber dem Arbeitnehmer gegenüber nicht vermitteln. Der Arbeitgeber darf diesen Entschluss gefasst haben. Er darf das aber dem Arbeitnehmer nicht zeigen, dass es eigentlich eh egal ist, ob nun die Anhörung durchgeführt wird oder nicht, gekündigt werde er sowieso. In diesem Falle hätte die Anhörung nicht ordnungsgemäß stattgefunden, die außerordentliche Verdachtskündigung wäre unwirksam (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 23.08.2018 – 2 AZR 133/18).

 

Gibt es eine Frist für die Anhörung des Arbeitnehmers bei einer Verdachtskündigung?

Ja, es gibt die Regel, dass der Arbeitnehmer innerhalb von einer Woche angehört werden soll (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 20.03.2014 – 2 AZR 1037/12). Liegen besondere Umstände vor, kann diese Frist auch überschritten werden.

 

Dürfen Arbeitnehmer zur Anhörung eine Vertrauensperson hinzuziehen?

Grundsätzlich ja. Der Arbeitgeber ist zwar nicht verpflichtet darauf hinzuweisen, dass der Arbeitnehmer eine Vertrauensperson hinzuziehen darf. Er darf es aber auch nicht ablehnen, wenn der Arbeitnehmer dies möchte (Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Urteil vom 30.03.2012 – 10 Sa 2272/11).

 

Kann im Kündigungsschutzverfahren das Arbeitsgericht auch eine Tatkündigung annehmen, obwohl der Arbeitgeber nur eine Verdachtskündigung ausgesprochen hat?

Ja, das ist grundsätzlich möglich. Das Arbeitsgericht ist nicht daran gebunden, ob der Arbeitgeber eine Tatkündigung oder eine Verdachtskündigung ausgesprochen hat, es müssen lediglich die Voraussetzungen vorliegen. Dabei ist die Reihenfolge jedoch entscheidend:

Das Aufsatteln zur Tatkündigung

Hat der Arbeitgeber eine Verdachtskündigung ausgesprochen, stellt sich allerdings im Prozess dann heraus, dass der Arbeitnehmer die Tat wirklich begangen hat, kann das Arbeitsgericht auch eine Tatkündigung annehmen. Hier kann vom „Aufsatteln“ zur Tatkündigung gesprochen werden. Dann wäre es auch kein Problem, dass der Arbeitgeber es versäumt hat, den Arbeitnehmer zur erklärten Verdachtskündigung gar nicht angehört zu haben, die aber zwingend erforderlich wäre. Denn es hat sich ja nach der richterlichen Überzeugung herausgestellt, dass es eine Tatkündigung ist. Und hierfür bedarf es keiner Anhörung (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 23.06.2009 – 2 AZR 474/07). Ein „Aufsatteln“ ist daher jederzeit möglich.

Das Absatteln zur Verdachtskündigung

Ein „Absatteln“ ist auch möglich, in der Praxis jedoch häufig problematisch. Dieses „Absatteln“ liegt vor, wenn der Arbeitgeber eine Tatkündigung ausgesprochen hat, das Arbeitsgericht jedoch von der Begehung der Tat nicht überzeugt ist und deshalb lediglich eine Verdachtskündigung annimmt. Der Arbeitgeber hätte den Arbeitnehmer bei einer Verdachtskündigung jedoch vorher angehört haben müssen. Auch hätte der Betriebsrat vorher zusätzlich zu einer Verdachtskündigung angehört werden müssen. Da Arbeitgeber dies häufig nicht zusätzlich tun, entstehen die Probleme: Der Arbeitgeber hat eine Tatkündigung ausgesprochen, das Arbeitsgericht nimmt eher eine Verdachtskündigung an, die Voraussetzungen für diese Verdachtskündigung fehlen aber. Die Verdachtskündigung ist deshalb unwirksam.

Der Arbeitgeber muss sich nicht für eine Tatkündigung oder eine Verdachtskündigung entscheiden. Das Arbeitsgericht prüft selbst, ob beide Varianten vorliegen können (Bundesarbeitsgericht 27.01.2011 – 2 AZR 825/09).

 

Muss der Betriebsrat vor einer Verdachtskündigung angehört werden?

Ja, wie vor jeder Kündigung muss auch vor einer Verdachtskündigung der Betriebsrat nach § 102 Betriebsverfassungsgesetz angehört werden. Wichtig ist dabei, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat auch mitteilt, dass es sich um eine Verdachtskündigung handelt. Denn Verdachtskündigung und Tatkündigung stellen jeweils einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Beruft der Arbeitgeber sich nur auf die Tatkündigung, die sich im Kündigungsschutzverfahren dann jedoch als Verdachtskündigung herausstellt, so hat er eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung zur Verdachtskündigung nicht durchgeführt. Im Ergebnis wird die Kündigung schon deshalb unwirksam sein (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 10.12.2009 – 2 AZR 534/08). Umgekehrt kann es anders ausgehen: Hört der Arbeitgeber den Betriebsrat zu einer Verdachtskündigung an und ergibt sich um Kündigungsschutzprozess, dass es eine Tatkündigung ist, dann bleibt die Anhörung des Betriebsrats wirksam, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat alle Tatsachen zur Verdachtskündigung mitgeteilt hatte, die nicht nur den Verdacht, sondern auch die Tat selbst begründen (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 21.11.2013 – 8 AZR 797/11).