Die außerordentliche Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden von Amazon wegen Arbeitszeitbetrug

Die außerordentliche Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden von Amazon wegen Arbeitszeitbetrug

Überblick

Aktuell ist in den Medien von der außerordentlichen Kündigung des Amazon-Betriebsratsvorsitzenden Detlev Börs zu lesen. Sein Arbeitgeber Amazon hatte ihm außerordentlich, fristlos gekündigt, weil er einen Betriebsrätetag, auf dem er zur Fortbildung gewesen war, vorzeitig verlassen hat. Der eigentliche Kündigungsgrund sei dabei nicht gewesen, dass er die Fortbildung eigenmächtig abgebrochen habe. Vielmehr sei es der Arbeitszeitbetrug, der damit einherging: Denn der Betriebsratsvorsitzende habe vorsätzlich falsche Angaben über seine Arbeitszeit gemacht. Obwohl er nicht mehr auf der Fortbildung war, habe er die Zeit als Arbeitszeit angegeben.

Der Betriebsratsvorsitzende rechtfertigte sich damit, dass er ja auch nach seinem Weggang von der Fortbildung in einem Cafe mobil gearbeitet und seiner Betriebsratstätigkeit nachgekommen sei. Anschließend habe er bei seiner Ex-Frau übernachtet. Dem glaubte das Arbeitsgericht jedoch nicht. Zudem habe es sich nicht um unaufschiebbare Arbeit gehandelt, die er auch nicht hätte später erledigen können.

In dem vorliegenden Verfahren handelte es sich allerdings nicht um ein Kündigungsschutzverfahren. Der Arbeitgeber bat nämlich den Betriebsrat um die erforderliche Zustimmung für die außerordentliche Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden wegen Arbeitszeitbetrugs. Der Betriebsrat verweigerte dies. Daraufhin beantragte der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht Lüneburg, dass das Gericht die Zustimmung des Betriebsrats ersetzen möge. Dem kam das Arbeitsgericht Lüneburg nach (Arbeitsgericht Lüneburg Beschluss vom 05.04.2023 – 2 BV 6/22). Das Landesarbeitsgericht Hannover hat inzwischen die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt (Landesarbeitsgericht Hannover Beschluss vom 28.02.2024 – 13 TaBV 40/23).

In diesem Artikel möchten wir Sie über die arbeitsrechtlichen Hintergründe aufklären.

 

Dürfen Betriebsratsmitglieder außerordentlich gekündigt werden?

Ja, das ist grundsätzlich nach § 15 Abs. 1 S. 1 Kündigungsschutzgesetz in Verbindung mit § 103 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz möglich.

Für die außerordentliche Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden müssen erstmal die allgemeinen Voraussetzungen vorliegen wie bei Arbeitnehmern, die nicht Betriebsratsmitglieder sind.

Darüber hinaus muss der Arbeitgeber nach § 103 Betriebsverfassungsgesetz zusätzlich die Zustimmung von den Mitgliedern des Betriebsrats einholen. Der betroffene Betriebsratsvorsitzende darf als Befangener an dieser Abstimmung natürlich nicht teilnehmen. Erteilt der Betriebsrat seine Zustimmung nicht, kann der Arbeitgeber beim zuständigen Arbeitsgericht beantragen, dass die Zustimmung durch die gerichtliche Entscheidung ersetzt werde. In einem solchen Verfahren sind Arbeitgeber und Betriebsrat die Parteien der gerichtlichen Auseinandersetzung. Der zu kündigende Betriebsratsvorsitzende hat die Rolle eines prozessualen Beteiligten.

Wenn Arbeitnehmer außerordentlich gekündigt werden, dann muss der Betriebsrat lediglich vorher ordnungsgemäß angehört werden, § 102 Betriebsverfassungsgesetz. Werden jedoch Mitglieder des Betriebsrats außerordentlich gekündigt, dann muss der Betriebsrat nicht nur vorher ordnungsgemäß angehört werden, er muss auch seine Zustimmung erteilen. Eine solche Zustimmung ist bei Arbeitnehmern, die nicht Betriebsratsmitglieder sind, jedoch nicht erforderlich.

 

Dürfen Betriebsratsmitglieder ordentlich gekündigt werden?

Nein, das ist dagegen nicht möglich. Betriebsratsmitglieder genießen einen besonderen Kündigungsschutz genauso wie Schwangere, Arbeitnehmer in Elternzeit, Schwerbehinderte etc. Deshalb haben Arbeitgeber lediglich die Möglichkeit, Betriebsräte außerordentlich zu kündigen, wenn die Voraussetzungen vorliegen.

 

Ist Arbeitszeitbetrug ein Grund für eine außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsvorsitzenden?

Arbeitszeitbetrug ist kein „Kavaliersdelikt“ und kann regelmäßig zur außerordentlichen Kündigung führen, insbesondere wenn der betroffene Arbeitnehmer von den Umständen des Betrugs wusste und dem Arbeitgeber deshalb auch ein Schaden entstanden ist, da der Arbeitnehmer entgegen seiner Behauptung nicht die geschuldete Gegenleistung erbracht und stattdessen gelogen hat.  

Auch muss unterschieden werden, ob es sich um eine außerordentliche Tatkündigung oder eine außerordentliche Verdachtskündigung handelt. Bei der Tatkündigung kann der Arbeitgeber den Beweis über die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers erbringen. Bei der Verdachtskündigung handelt es sich lediglich um konkrete Verdachtsmomente, die der Arbeitgeber hat. In diesem Falle muss er den Arbeitnehmer auch vorher anhören, damit dieser die Möglichkeit erhält unbegründete Verdachtsmomente auszuräumen. Eine außerordentliche Verdachtskündigung wird sonst allein deshalb unwirksam, weil eine erforderliche Anhörung nicht erfolgte.

Gleiches gilt auch für Betriebsratsvorsitzende und ihre Betriebsratsarbeit.  Zu der Frage eines Arbeitszeitbetrugs von Betriebsratsvorsitzenden gibt es eine Vielzahl von Rechtsprechungen der Arbeitsgerichte. Es kommt jedenfalls nicht selten vor, dass Arbeitgeber versuchen wegen (angeblichen) Arbeitszeitbetrugs Betriebsratsvorsitzende zu kündigen.

 

Wie läuft das Zustimmungsverfahren nach § 103 Betriebsverfassungsgesetz ab?

Möchte der Arbeitgeber den Betriebsratsvorsitzenden außerordentlich kündigen, muss er den Betriebsrat ordnungsgemäß anhören mit dem Ziel, dass der Betriebsrat der Kündigung anschließend zustimmt. In diesem Anhörungsverfahren muss der Arbeitgeber die Gründe für seine Kündigung vortragen. Der Betriebsrat hat dann 3 Tage Zeit der Kündigung zuzustimmen. Verweigert der Betriebsrat innerhalb dieser Frist ausdrücklich die Zustimmung oder reagiert er nicht, kann der Arbeitgeber den Betriebsrat „verklagen“.

 

Was ist das Zustimmungsersetzungsverfahren?

Mit dem Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 Betriebsverfassungsgesetz „verklagt“ der Arbeitgeber den Betriebsrat, dass die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden durch das Arbeitsgericht ersetzt werde. Das Gericht ersetzt die Zustimmung, wenn die Voraussetzungen der außerordentlichen Kündigung (außerordentliche Verdachtskündigung oder eine außerordentliche Tatkündigung) vorliegen.

 

Kann der Betriebsratsvorsitzende gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts vorgehen?

Ja, der Betriebsratsvorsitzende kann nach § 87 Arbeitsgerichtsgesetz eine Beschwerde gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts einlegen. Dann muss die nächsthöhere Instanz, das Landesarbeitsgericht Niedersachsen, über die Beschwerde entscheiden.

 

Wie geht es nun weiter?

Der Betriebsratsvorsitzende kann die Zustimmungsersetzung des Arbeitsgerichts angreifen. Verliert er in allen Instanzen und wird der Beschluss dann rechtskräftig, muss der Arbeitgeber anschließend die außerordentliche Kündigung erklären.

Hiergegen kann der Betriebsratsvorsitzende nun mit einer klassischen Kündigungsschutzklage vorgehen. Problem dabei ist jedoch, dass die Zustimmungsersetzung des Arbeitsgerichts überwiegend bindend ist. Das bedeutet: Wenn die Zustimmung des Arbeitsgerichts rechtskräftig ist, ist auch das Arbeitsgericht in der Kündigungsschutzsache daran gebunden. Es ist jedoch nicht vollständig daran gebunden.

Die außerordentliche Kündigung hat folgende Voraussetzungen:

  • Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch
  • Einhaltung der formalen Anforderungen wie Schriftform und hinreichende Bestimmtheit der Kündigungserklärung
  • Vorliegen eines wichtigen Grundes
  • Unzumutbarkeit einer ordentlichen Kündigung
  • Verhältnismäßigkeit der außerordentlichen Kündigung

Das Arbeitsgericht ist in dem Kündigungsschutzverfahren lediglich an das Vorliegen eines wichtigen Grundes gebunden, nicht jedoch hinsichtlich der anderen Voraussetzungen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Arbeitsgericht in dem Kündigungsschutzverfahren zu einem anderen Ergebnis kommt, ist relativ gering, aber nicht ausgeschlossen. Insofern bliebe dem Betriebsratsvorsitzenden noch die Möglichkeit, hier weitere Angriffsflächen zu finden. Denn es ist auch möglich, dass sich der Betriebsratsvorsitzende und Amazon noch im Kündigungsschutzprozess vergleichen. Mit einem Vergleich enden nämlich die meisten Fälle vor dem Arbeitsgericht. So könnte der Betriebsratsvorsitzende auch versuchen eine Abfindungszahlung zu verhandeln.

Sie sind Betriebsrat und haben eine außerordentliche Kündigung erhalten oder Ihnen wurde bereits eine angedroht? Kontaktieren Sie uns, wir klären mit Ihnen, wie Sie am besten gegen die fristlose Kündigung vorgehen können und ob der Erhalt einer Abfindungszahlung möglich ist.