Überblick
Abmahnung Kündigung
Nach der Abmahnung folgt häufig die Kündigung. Wir sprechen gerne mit Ihnen im Rahmen einer kostenlosen telefonischen Erstberatung, ob sowohl die Abmahnung, als auch die Kündigung angegriffen werden sollte.
Was ist eine Abmahnung?
Mit der Abmahnung vor einer Kündigung erklären Arbeitgeber gegenüber Arbeitnehmern in einer deutlichen Art und Weise, dass bestimmte Störungen im Leistungs- und Verhaltensbereich nicht akzeptiert werden. Gleichzeitig weisen Arbeitgeber darauf hin, dass das Arbeitsverhältnis gefährdet ist, sollte sich eine Pflichtverletzung wiederholen. Bei der Abmahnung handelt sich um ein vertragliches Rügerecht des Arbeitgebers. Anschaulich gesprochen, funktioniert eine Abmahnung wie eine „gelbe Karte“, die vor Ausspruch einer Kündigung, also der „roten Karte“, dazu anhalten soll, dass Arbeitnehmer Fehlverhalten nicht wiederholen (Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 18.03.2014 – 13 Sa 1207/13).
Rechtsdogmatisch gesehen handelt es sich bei der Abmahnung um eine empfangsbedürftige geschäftsähnliche Handlung. Als Willenserklärung ist sie deshalb nicht einzuordnen, weil die mit der Abmahnung angestrebten Rechtsfolgen nicht mit dem Willen des Abmahnenden eintreten, sondern von Rechts wegen.
Die Abmahnung ist nur bei der verhaltensbedingten Kündigung relevant. Sie ist Ausdruck des sog. ultima-ratio-Prinzips. Dieser Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besagt, dass der Ausspruch der Kündigung immer als letzte Möglichkeit unter den mildesten Mitteln des Arbeitgebers in Betracht gezogen werden soll. Dies ergibt sich aus den Rechtsgedanken der § 314 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch, sowie aus § 323 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch.
Deshalb ist es die Regel, dass vor Ausspruch einer ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung abzumahnen ist. Doch auch hiervon gibt es eine viele Ausnahmen.
Wer darf eine Abmahnung vor einer Kündigung aussprechen?
Eine Kündigung darf nur von bevollmächtigten oder berechtigten Personen ausgesprochen werden. Dies gilt jedoch nicht bei der Abmahnung. Hier ist der Kreis der in Frage kommenden Personen deutlich weiter. Eine Abmahnung dürfen alle Vorgesetzten aussprechen, die weisungsbefugt sind (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 05.07.1990 – 2 AZR 8/90).
In der Praxis kommt es auch vor, dass von Arbeitgebern beauftragte Rechtsanwälte die Abmahnung aussprechen. Das ist grundsätzlich im Wege einer Bevollmächtigung möglich. Allerdings sind die Rechtsanwälte dann auch verpflichtet, die Originalvollmacht der Abmahnung beizufügen, da anderenfalls betroffenen Arbeitnehmer nach § 174 Bürgerliches Gesetzbuch das Recht zusteht, die Abmahnung unverzüglich zurückzuweisen. Arbeitgeber können dann zwar eine neue Abmahnung mit Vorlage der Vollmachtsurkunde aussprechen.
Welche Funktion hat eine Abmahnung vor einer Kündigung?
Arbeitgeber üben mit Ausspruch von Abmahnungen ihre vertraglichen Gläubigerrechte in doppelter Hinsicht aus. Die Abmahnung hat deshalb grundsätzlich folgende Funktionen:
Rügefunktion & Dokumentationsfunktion einer Abmahnung
Arbeitnehmer werden darauf hingewiesen, dass ein (ganz) konkretes Verhalten als vertragswidriges Verhalten anzusehen ist. Deshalb werden Arbeitnehmer gleichzeitig dazu aufgefordert, derartige Fehlverhalten zukünftig zu unterlassen.
Warnfunktion einer Abmahnung
Die Arbeitgeber müssen in der Abmahnung mitteilen, dass bei einer Wiederholung der Pflichtverletzung der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet ist.
Dabei müssen Arbeitgeber nicht zwingend mit einer Kündigung konkret drohen. Ausreichend ist es „arbeitsrechtliche Konsequenzen“ anzudrohen (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 19.04.2012 – 2 AZR 258/11).
Grundsätzlich folgt die Abmahnung damit dem sogenannten Prognoseprinzip. Dieses Prinzip besagt, dass die Abmahnung als milderes Mittel zur Kündigung herangezogen werden soll, um einer weiteren Vertragsstörung in der Zukunft vorzubeugen.
Was ist der Unterschied zwischen einer Abmahnung und einer Ermahnung vor einer Kündigung?
Im Gegensatz zur Abmahnung fehlt es der Ermahnung an der Warnfunktion. Sie ist deshalb die deutlich schwächere Maßnahme als die Abmahnung. Arbeitgeber rügen in diesem Falle zwar ein Verhalten, knüpfen die Rüge aber nicht an weitere Konsequenzen, sollte die Pflichtverletzung wiederholt werden. Für die Kündigungsschutzklage trägt die Ermahnung deshalb nicht die Bedeutung wie die zulässige Abmahnung.
Auch die Ermahnung kann in die Personalakte aufgenommen werden. Ist dies der Fall, besteht nach aktueller Rechtsprechung nur die eingeschränkte Möglichkeit auch hiergegen rechtlich vorzugehen und die Entfernung aus der Personalakte zu verlangen (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 18.08.1982 – 5 AZR 310/80).
Arbeitgeber sind gut beraten, Arbeitnehmer bei Pflichtverstößen wenigstens zu ermahnen. Tun sie dies nicht und wird der Vertragsverstoß für längere Zeit hingenommen, kann unter Umständen damit auch eine konkludente Änderung des Vertragsinhalts zugunsten des Arbeitnehmers angenommen werden. Für Arbeitgeber wird es dann deutlich schwieriger, dieses hingenommene Fehlverhalten des Arbeitnehmers anzugreifen.
Muss eine Abmahnung vor der Kündigung schriftlich erfolgen?
Nein, im Gegensatz zur Kündigung unterliegt die Abmahnung keiner gesetzlichen Schriftform. Dies kann jedoch arbeitsvertraglich oder tarifvertraglich vorgesehen werden. Grundsätzlich sind Arbeitgeber aber immer gut beraten, die Abmahnung schriftlich zu erklären, da sie hierdurch weniger Beweisprobleme haben, sollte es zu einer juristischen Auseinandersetzung kommen.
Muss ich eine Abmahnung vor der Kündigung unterschreiben?
Nein, Arbeitnehmer sind nicht verpflichtet, die Abmahnung zu unterschreiben. Dies ist auch nicht empfehlenswert. Häufig verlangen Arbeitgeber eine Unterschrift, um den Empfang der Abmahnung quittieren zu lassen, das heißt, dass der Zugang und der Zugangszeitpunkt der Abmahnung mit der Unterschrift sichergestellt wird. Rechtlich gesehen bedeutet dies jedoch nicht, dass Arbeitnehmer mit dieser Unterschrift die vorgeworfene Pflichtverletzung auch akzeptieren.
Dies kann jedoch dann geschehen, wenn es sich bei dem zu unterschreibenden Dokument nicht um eine Abmahnung, sondern um ein deklaratives oder konstitutives Schuldanerkenntnis handelt. Damit möchten Arbeitgeber sichergehen, dass Arbeitnehmer nicht nur das vorgeworfene Verhalten anerkennen, sondern auch die damit verbundenen Schäden ersetzen sollen. Auch ein solches Schuldanerkenntnis müssen Arbeitnehmer nicht unterschreiben.
Häufig geschieht dies doch, da Arbeitgeber erheblichen Druck ausüben, bspw. indem sie anderenfalls mit Strafanzeigen etc. drohen.
Tipp
Unterschreiben Sie niemals ein solches Schreiben, ohne sich vorher anwaltlichen Rat geholt zu haben. Versuchen Sie gegenüber Ihrem Arbeitgeber Zeit zu gewinnen. Und zwar auch in solchen Situationen, in denen der Arbeitgeber sofort die Unterschrift haben will oder ansonsten kündigt.
Wann ist eine Abmahnung vor einer Kündigung erforderlich?
Eine Abmahnung ist vor Ausspruch der Kündigung grundsätzlich erforderlich. Dies gilt ausnahmsweise dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten ist oder die Pflichtverletzung derart schwerwiegend ist, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – auch für den Arbeitgeber – ausgeschlossen ist, was auch für Störungen im Vertrauensbereich gilt (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 9. Juni 2011 – 2 AZR 381/10).
Dies ist aber auch dann der Fall, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung ausgegangen werden kann, dass die Arbeitnehmer auch nach einer möglichen Androhung einer Kündigung eine gleiche oder ähnliche Pflichtverletzung begehen werden, sogenannte negative Prognose. Die Abmahnung muss der Objektivierung dieser Prognose dienen können (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 19.04.2007 – 2 AZR 180/06).
Beispiele wann eine Abmahnung nicht erforderlich ist
- Tätlichkeiten unter Kollegen (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 06.10.2005 – 2 AZR 280/04)
- Beharrliches Nachstellen von Kolleginnen im Betrieb, wenn damit auch der Betriebsfrieden gestört wird (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 19.04.2012 – 2 AZR 258/11)
- Beleidigung von Vorgesetzen
- Diebstahl oder Veruntreuung durch Arbeitnehmer
Müssen Arbeitnehmer vor einer Abmahnung auch angehört werden?
Nein, Arbeitgeber sind grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, Arbeitnehmer vor einer Abmahnung anzuhören. Hier können lediglich Tarifverträge Ausnahmen vorsehen. Im öffentlichen Dienst ist beispielsweise eine solche Verpflichtung zur vorherigen Anhörung vorgesehen, zumindest für die Arbeitgeber, die dem TV-L unterliegen.
Hier sieht der § 3 Abs. 6 S. 4 TV-L beispielsweise vor:
„Die Beschäftigten müssen über Beschwerden und Behauptungen tatsächlicher Art, die für sie ungünstig sind oder ihnen nachteilig werden können, vor Aufnahme in die Personalakte gehört werden.“
Ist im Kleinbetrieb eine Abmahnung vor einer Kündigung erforderlich?
Hier kommt es darauf an, ob es sich um eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung handelt. Sollte es um eine außerordentliche Kündigung gehen, sind auch hier die oben genannten Voraussetzungen einzuhalten. Dagegen ist bei einer ordentlichen Kündigung im Kleinbetrieb die vorherige Abmahnung nicht erforderlich. Denn im Kleinbetrieb, in dem nicht mehr als 10 Mitarbeiter beschäftigt sind, können Arbeitgeber kündigen, solange die Kündigung nicht treuwidrig oder sittenwidrig ist oder der besondere Kündigungsschutz greift (Schwangerschaft, Elternzeit etc.). Das Kündigungsschutzgesetz findet im Kleinbetrieb grundsätzlich keine Anwendung.
Kann eine Abmahnung auch vor einer personenbedingten oder betriebsbedingten Kündigung erklärt werden?
Die Abmahnung zielt immer auf objektive Pflichtverstöße und ein steuerbares Verhalten von Arbeitnehmern ab. Diese kann bei betriebsbedingten Kündigungen nicht vorliegen, weil die Kündigungsgründe hier außerhalb des Verhaltens von Arbeitnehmer liegen.
Bei personenbedingten Gründen muss unterschieden werden: Liegt die Ursache auf einem steuerbaren Verhalten so könnte auch hier eine Abmahnung in Betracht kommen.
Beispiel für eine Abmahnung bei personenbedingten Gründen
Ein LKW-Fahrer trinkt regelmäßig Alkohol. Hier müssen Arbeitgeber darauf achten, ob der Arbeitnehmer eine Alkoholsucht hat, deshalb krank ist und kein steuerbares Verhalten vorliegen könnte. Oder ob er mal über den Durst zu viel getrunken hat.
Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann zum Beispiel auch bei Krankheitsgründen eine Abmahnung gerechtfertigt sein, wenn die betroffenen Arbeitnehmer den personenbedingten Kündigungsgrund durch steuerbares Verhalten beseitigen können.
Beispiel für eine Abmahnung bei Krankheit des Arbeitnehmers
Es ist Verpflichtung der Arbeitnehmerin, die psychologische Behandlung und Medikation wiederaufzunehmen, weil sie damit zweifelsfrei zum sozialadäquaten Verhalten zurückfinden kann (Hessisches Landesarbeitsgericht Urteil vom 18.03.2014 – 13 Sa 1207/13). In diesem Falle hatte die Arbeitnehmerin eine zulässige Abmahnung erhalten, weil sie die entsprechende Behandlung und Medikation verweigerte und dies sich auf ihre Leistung auswirkte und paranoide Auffälligkeiten entstanden.
Kann ich nach einer Kündigung auch getrennt gegen eine Abmahnung vorgehen?
Ja, das ist grundsätzlich möglich. Es könnte auch empfehlenswert sein, mit Einreichung der Kündigungsschutzklage auch die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte zu beantragen. Ein Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte kann sich nach §§ 242, 1004 Abs. 1 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch ergeben. Dies ist in folgenden Fällen begründet:
Voraussetzungen für eine unwirksame Abmahnung
- Die Abmahnung ist inhaltlich unbestimmt
- Die Abmahnung enthält unrichtige Tatsachenbehauptungen
- Die Abmahnung beruht auf einer unzutreffenden rechtlichen Verhaltensbewertung der betroffenen Arbeitnehmer
- Die Abmahnung verletzt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
- Der Arbeitgeber hat selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdiges Interesse mehr an deren Verbleib in der Personalakte.
Damit eine Abmahnung unwirksam ist, reicht es, wenn eine der genannten Punkte erfüllt sind. Es müssen nicht alle erfüllt sein.
Wann ist eine Abmahnung unverhältnismäßig?
Grundsätzlich muss die Abmahnung immer verhältnismäßig zum abgemahnten Verhalten sein. Hierfür müssen im Einzelfall die verfassungsrechtlich geschützten Positionen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber abgewogen werden. Unverhältnismäßig ist die Abmahnung immer dann, wenn sie der Gegenseite unverhältnismäßig große Nachteile zufügt und andere, weniger schwerwiegende Maßnahmen möglich gewesen wären, die den Interessen der Berechtigten ebenso gut Rechnung getragen hätten oder ihm zumindest zumutbar gewesen wären. Hierzu gilt ebenso der Grundsatz des Übermaßverbotes.
Beispiel für Verhältnismäßigkeit der Abmahnung
Ein Arbeitnehmer verweigert sich auf Anweisung seines Vorgesetzten ein konkretes Thema auf die Tagesordnung für ein Treffen zu setzen. Hier war nach Entscheidung des Gerichts die Abmahnung verhältnismäßig (Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26.11.2013 – 6 Sa 306/13).
Auch wenn Arbeitgebern vorgeworfen werden kann, sie hätten ja über das Fehlverhalten hinwegsehen können, macht dies die Abmahnung nicht unverhältnismäßig (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 13.11.1991 – 5 AZR 74/91). Arbeitgeber können frei darüber entscheiden, ob sie eine Abmahnung aussprechen wollen oder nicht (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 23.04.1986 – 5 AZR 640/85).
Kann ich abgemahnt werden, obwohl ich mich entschuldigt habe?
Grundsätzlich ja. Denn genau hier liegt der entscheidende Kernpunkt einer Abmahnung: Sie richtet sich gegen einen objektiven Pflichtverstoß der Arbeitnehmer, es muss kein vorwerfbares Verhalten vorliegen. Deshalb hat auch eine anschließende Entschuldigung von Arbeitnehmern keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Abmahnung (Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil vom 12.07.2018 – 5 Sa 77/18).
Gibt es eine Frist für die Erteilung einer Abmahnung vor einer Kündigung?
Nein, es existiert keine sogenannte Regelausschlussfrist, innerhalb derer Arbeitgeber eine Abmahnung aussprechen müssen. Es gilt jedoch der Grundsatz, dass je länger Arbeitgeber damit warten, umso eher die Wirksamkeit einer solchen Abmahnung bestritten werden kann. Denn die der Abmahnung zugrundeliegende Warnfunktion wird mit weiterem Zuwarten abgeschwächt. Arbeitgeber können sich nicht mehr in überzeugender Weise darauf berufen, dass das Verhalten derart gravierend sei, andererseits aber mit der Abmahnung zu lange warten. In einer der wenigen Entscheidungen hierzu wurden bspw. mehr als 6 Monate als zu lange Zeit gewertet (Landesarbeitsgericht Nürnberg, Beschluss vom 14.06.2005 – 6 Sa 367/05).
Wichtig sind auch hier die jeweiligen Umstände: Aufgrund des Verhaltens von Arbeitgebern können sich Umstände ergeben, wonach Arbeitnehmer davon berechtigterweise ausgehen durften, dass sich die Sache „erledigt“ habe. So beispielsweise, wenn Arbeitnehmer nach dem Pflichtverstoß auch noch versetzt oder befördert werden.
Auch können die Voraussetzungen der sogenannten Verwirkung einer Abmahnung vorliegen. Diese unterliegen jedoch strengen Annahmevoraussetzungen. Es muss eine gewisse Zeit vergangen sein (Zeitmoment) und es müssen auch Umstände eingetreten sein, wonach Arbeitnehmer berechtigterweise davon ausgehen durften, dass der Arbeitgeber vom seinem „Abmahnrecht“ keinen Gebrauch machen wird (Umstandsmoment).
Wie lange wirkt eine Abmahnung?
Hierzu gibt es keine konkreten zeitlichen Grenzen. Das Bundesarbeitsgericht nennt bewusst keine Faustregel und lässt dies Anhand der Umstände des Einzelfalles bemessen.
Grundsätzlich wird hier zwischen dem zeitlichen Ablauf der Rüge- und Dokumentationsfunktion und dem zeitlichen Ablauf der Warnfunktion unterschieden (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 19.07.2012 – 2 AZR 782/11). Entscheidend dabei ist, dass diese Funktionen zum Zeitpunkt der Kündigung ihre Bedeutung verloren haben.
Das könnte beispielsweise dann der Fall sein, wenn es sich um eine geringfügige Pflichtverletzung handelte, die abgemahnt worden war oder diese Pflichtverletzung sehr lange zurückliegt.
Kann ich wegen eines Pflichtverstoßes abgemahnt und gleichzeitig gekündigt werden?
Nein, das ist nicht möglich. Entweder Abmahnung oder Kündigung, Arbeitgeber müssen sich hier entscheiden, beides ist wegen derselben Pflichtverletzungen von Arbeitnehmer nicht zulässig. Der Kündigungsgrund ist dann mit der Abmahnung verbraucht. Hier verhält es sich nämlich rechtlich so, dass Arbeitgeber konkludent auf eine Kündigung verzichten, wenn Sie für das jeweilige Fehlverhalten eine Abmahnung aussprechen.
Etwas anderes gilt jedoch, wenn sich die für die Kündigung maßgebenden Umstände später geändert haben. Das heißt: Sollte zum Zeitpunkt der Abmahnung ein Grund vorgelegen haben, von dem der Arbeitgeber jedoch keine Kenntnis hatte und diese Gründe später zur Kenntnis gelangen, so kann dies zur Begründung einer neuen Kündigung herangezogen werden (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 12.05.2011, 2 AZR 479/09).
Eine solche doppelte Sanktionierung kommt in der Praxis selten vor. Wenn dies jedoch geschieht, liegt es häufig daran, dass Arbeitgeber damit ihrem Ärger über das jeweilige Fehlverhalten maximalen Ausdruck verleihen wollen oder es den betrieblichen Organisationsproblemen geschuldet ist. In sehr großen Unternehmen oder im öffentlichen Dienst kann es (wenn auch selten) passieren, dass die eine Hand nicht weiß, was die andere Hand tut. Eine solche Organisationsproblematik kann dann auch nicht zu Lasten von Arbeitnehmer ausgetragen werden (Landesarbeitsgericht Berlin Urteil vom 16.02.2006, 10 Sa 1618/05).
Welche Anforderungen werden an den Zugang der Abmahnung gestellt?
Grundsätzlich muss die Abmahnung zugegangen sein und die betroffenen Arbeitnehmer müssen auch Kenntnis von dem Inhalt der Abmahnung erlangt haben. Das Bundesarbeitsgericht hat hierzu geurteilt, dass Arbeitnehmer deshalb auch Kenntnis vom Inhalt haben müssen, weil es dem Sinn und Zweck der Abmahnung entspricht, dass ihnen ihr Fehlverhalten verdeutlicht und entsprechende arbeitsrechtliche Konsequenzen angedroht wurden. Arbeitnehmer können nur unter diesen Umständen weitere Fehlverhalten vermeiden (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 09.08.1984 – 2 AZR 400/83).
Allerdings hat das Gericht die Hürden für die Kenntnisnahme auch sehr tief gesetzt. In der Regel ist davon auszugehen, dass nach Zugang einer Abmahnung auch die Kenntniserlangung folgt. Arbeitnehmer müssen hier den Grundsätzen des Treu und Glaubens nach darstellen können, warum sie zwar eine Abmahnung erhalten haben, jedoch dessen Inhalt nicht zur Kenntnis nehmen konnten.
Können Arbeitgeber die Abmahnung einseitig wieder zurücknehmen?
Nein, das ist nicht möglich. Bei der Abmahnung handelt es sich um eine empfangsbedürftige geschäftsähnliche Handlung nach § 130 Bürgerliches Gesetzbuch. Sie wird mit Zugang bei Arbeitnehmer wirksam. Nur wenn sie vor Zugang gegenüber den Arbeitnehmern widerrufen wird, verliert sie damit ihre Gültigkeit. Nach Zugang der Abmahnung kann diese nur mit Zustimmung der Arbeitnehmer „zurückgenommen“ werden (Landesarbeitsgericht Berlin Urteil vom 16.02.2006, 10 Sa 1618/05).
Muss der Betriebsrat vor einer Abmahnung angehört werden?
Nein. Im Gegensatz zur Kündigung, bei der eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates vorher stattfinden muss, ergibt sich dies für die Abmahnung nach § 102 Betriebsverfassungsgesetz nicht. Aber: Wenn eine Abmahnung und dann die Kündigung erfolgte, muss im Rahmen der Anhörung des Betriebsrates zur verhaltensbedingten Kündigung auch diese Abmahnung dem Betriebsrat vorgelegt werden.
Dürfen Betriebsratsmitglieder abgemahnt werden?
Nur, wenn es sich um Pflichtverstöße aus dem Arbeitsvertrag handelt. Sie können dagegen nicht abgemahnt werden, weil sie in berechtigter Weise ihre Betriebsratstätigkeit wahrgenommen haben.
Beispiel für eine zulässige Abmahnung des Betriebsrates
Ein nicht freigestelltes Betriebsratsmitglied meldet sich vor seiner Betriebsratstätigkeit nicht beim Arbeitgeber ab. Es besteht jedoch grundsätzlich eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht, sich beim Arbeitgeber während der Arbeitszeit abzumelden. Wenn ein Betriebsrat dies für seine Betriebsratstätigkeit nicht tut, kann er hierfür abgemahnt werden (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 15.07.1992 – 7 AZR 446/91).
Etwas anderes gilt jedoch, wenn der Betriebsrat falsch annimmt, eine Betriebsratsaufgabe wahrzunehmen, obwohl dies nicht der Fall war, weil die Beurteilung dessen eine schwierige und ungeklärte Rechtsfrage darstellte.
Beispiel für eine unzulässige Abmahnung des Betriebsrates
Ein Betriebsrat erlaubt seiner stellvertretenden Vorsitzenden an einer Verhandlung zu einem Kündigungsschutzverfahren einer Kollegin teilzunehmen und geht irrigerweise davon aus, dass die stellvertretende Vorsitzende dies aufgrund des § 37 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz auch dürfe. Die stellvertretende Vorsitzende erhält daraufhin eine Abmahnung. Die Abmahnung ist in diesem Falle als unzulässig qualifiziert worden (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 31.08.1994 – 7 AZR 893/93).
Handelt es sich dagegen auch um Verletzung ausschließlich betriebsverfassungsrechtlicher Amtspflichten von Betriebsräten, so können diese nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht sanktioniert werden. Außerordentliche Kündigungen oder Abmahnungen sind hier ausgeschlossen (Bundesarbeitsgericht Beschluss vom 09.09.2015 – 7 ABR 69/13).
Können Arbeitgeber abgemahnt werden?
Ja, auch Arbeitgeber können grundsätzlich abgemahnt werden. Sollten entsprechende Vertragsverstöße von Arbeitgeber vorliegen, können sie ebenso von Arbeitnehmer abgemahnt werden. Dies könnte auch unter besonderen Umständen empfehlenswert sein, insbesondere, wenn Arbeitnehmer selbst eine fristlose, außerordentliche Kündigung vorbereiten, was ebenfalls rechtlich möglich ist. Die außerordentliche Kündigung ist nicht nur Arbeitgebern vorbehalten. Die außerordentliche Kündigung des Arbeitnehmers muss genau so rechtlich zulässig sein, wie die des Arbeitgebers.