Kündigung wegen Zuspätkommens

Überblick

Kann ich eine Kündigung wegen Zuspätkommens erhalten, wenn ich zu spät zur Arbeit erscheine? 

Das Zuspätkommen zur Arbeit kann erst dann einen Kündigungsgrund darstellen, wenn es einem Arbeitsversäumnis, einer Arbeitsverweigerung oder einem Arbeitszeitbetrug entspricht. Das setzt voraus, dass Arbeitnehmer sich mehrmals schuldhaft verspäten müssen. Mit der ersten Verspätung sind Arbeitnehmer erst abzumahnen, hier kommt eine sofortige außerordentliche oder ordentliche Kündigung grundsätzlich nicht in Betracht. Erst mit wiederholten schuldhaften Verspätungen kommen Arbeitnehmer in die Nähe eines wirksamen Kündigungsgrundes.

Die Arbeitsleistung innerhalb der vereinbarten Arbeitszeit zu erbringen ist eine Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers. Kommt der Arbeitnehmer zu spät, verstößt er gegen diese Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis. Mit jeder Verspätung liegt dann jeweils eine Pflichtverletzung vor.

Weitere Umstände danach,

  • wie kurz oder lang die Verspätungen waren
  • ob die Verspätungen selbstverschuldet waren
  • ob die verlorene Zeit nachgearbeitet werden kann
  • ob es sich um eine Verspätung zum Dienstbeginn oder zu einem Meeting handelt,

können, müssen jedoch nicht berücksichtigt werden. Sie könnten lediglich in der Frage, ob auch schon eine außerordentliche Kündigung oder „nur“ ordentliche Kündigung gerechtfertigt ist, einbezogen werden.

Wie viele Verspätungen es sein müssen, damit wirksam gekündigt werden kann, ist nicht geregelt. Hierzu gibt es unterschiedliche Rechtsprechungen.

Beispiel für wirksame Kündigungen wegen Zuspätkommens

  • 39-mal zu spät, 2 Abmahnungen (Landesarbeitsgericht Thüringen Urteil vom 17.12.2009 – 5 Sa 365/09)

 

Kann ich wegen Zuspätkommens fristlos gekündigt werden? 

Eine außerordentliche Kündigung wegen Zuspätkommens ist nur dann möglich, wenn die dauernde Unpünktlichkeit einer beharrlichen Leistungsverweigerung ähnelt. Zudem müssen sich die Verspätungen auch nachteilig auf den betrieblichen Ablauf auswirken, also die Betriebsordnung oder den Betriebsfrieden stören. Dann wäre auch eine außerordentliche Kündigung möglich.

Beispiel fristlose Kündigung wegen Zuspätkommens wirksam

Ein Arbeitnehmer erschien innerhalb von anderthalb Jahren 104-mal unpünktlich zur Arbeit. Er erhielt deshalb sechs Abmahnungen. Trotzdem kam er wieder zu spät und erhielt daraufhin eine außerordentliche Kündigung. Das Bundesarbeitsgericht urteilte, dass in diesem Fall die außerordentliche Kündigung wirksam war, weil durch das ständige Zuspätkommen auch der betriebliche Ablauf gestört wurde (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 17.03.1988 – 2 AZR 576/87).

Beispiel fristlose Kündigung wegen Zuspätkommens unwirksam

Ein Arbeitnehmer erschien 15-mal zu spät zur Arbeit und erhielt drei Abmahnungen. Daraufhin wurde er außerordentlich, hilfsweise ordentlich gekündigt. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz erachtete die außerordentliche Kündigung für unwirksam, sah die ordentliche Kündigung jedoch als wirksam an (Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil vom 8. Dezember 2016 – 2 Sa 188/16)

 

Kann ich eine Kündigung wegen Zuspätkommens erhalten, weil ich mich wegen des weiten Arbeitswegs verspäte? 

Häufig kommen Arbeitnehmer zu spät zur Arbeit, weil auf dem Arbeitsweg Verzögerungen eintreten, beispielsweise die Bahn sich verspätet, zu lange unerwartete Staus entstehen etc. Hier sollte zwischen planbaren Risiken und unvorhergesehenen Risiken unterschieden werden.

Grundsätzlich sind Arbeitnehmer verpflichtet, rechtzeitig zur Arbeit zu erscheinen. (Landesarbeitsgericht Düsseldorf Urteil vom 15.03.1967 – 3 Sa 40/67). Arbeitnehmer tragen das sogenannte Wegerisiko. Sie müssen ihren Arbeitsweg immer so planen, dass sie rechtzeitig zur Arbeit erscheinen können. Dies gilt vor allem dann, wenn zu einer bestimmten Zeit auf dem Arbeitsweg immer mit Verzögerungen zu rechnen ist, beispielsweise bei Staus morgens oder bei rechtzeitig angekündigten Bahnausfällen. Hinsichtlich einer Kündigung wegen Zuspätkommens gelten hier die oben genannten Grundsätze.

Handelt es sich um unvorhergesehene Hindernisse, beispielsweise einen Unfall auf der Autobahn, der zu einem sehr langem Stau und damit einer erheblichen Verspätung geführt hat, die plötzliche Krankheit des Kindes etc., dann liegt keine schuldhafte Pflichtverletzung des Arbeitnehmers vor. Bei einmaligem Vorkommen dürfte dies nicht sanktionswürdig, geschweige denn ein Kündigungsgrund sein. Kommt dies jedoch regelmäßig vor, greifen hier auch die oben genannten Grundsätze. Allerdings wird hier auch geklärt werden müssen, ob noch eine verhaltensbedingte oder eher personenbedingte Kündigung in Betracht kommt. In der Praxis wird eine Kündigung aufgrund des häufigen Zuspätkommens wegen unvorhergesehener Hindernisse jedoch nur selten eine Bedeutung haben.

 

Kann ich eine Kündigung wegen Zuspätkommens erhalten, weil ich häufig verschlafe? 

Grundsätzlich ja. Hier wird sich die Frage stellen, welche Vorkehrungen Arbeitnehmer treffen, um zu vermeiden, dass sie erneut verschlafen. Wurde der Wecker richtig gestellt, wurden andere damit beauftragt, den Arbeitnehmer zu wecken etc. Die Arbeitsgerichte gehen im Rahmen des sogenannten Anscheinsbeweises erstmal davon aus, dass Arbeitnehmer keine angemessenen Vorkehrungen getroffen haben, wenn sie „Verschlafen“ als Grund für Ihre Verspätungen angeben.  Arbeitnehmer sind dann verpflichtet, diesen Anscheinsbeweis zu erschüttern, indem Sie eigene Beweise anbieten (Landesarbeitsgericht Köln Urteil vom 20.10.2008 – 5 SA 746/08).

 

Was ist der Anscheinsbeweis im Kündigungsschutzverfahren? 

Der Anscheinsbeweis ist eine Beweiserleichterung in der Prozessführung. Grundsätzlich ist es so, dass jede Partei die Voraussetzungen für Behauptungen beweisen muss, die sie im Gerichtsverfahren aufstellt. Für bestimmte Abläufe können die Gerichte jedoch davon ausgehen, dass wenn eine bestimmte unstrittige Ursache gegeben ist, dann damit auch bestimmte Abläufe immer erfolgen, so dass die beweisbelastete Partei diesen Ablauf nicht in Gänze mehr beweisen muss und sich nur auf die Ursache berufen kann. Denn es gibt typische Geschehensabläufe im Leben, die eine gleiche Ursache haben.

Beispiel für einen Anscheinsbeweis 

Arbeitgeber müssen im Kündigungsschutzprozess grundsätzlich die Kündigungsgründe vortragen und beweisen. Wenn Arbeitnehmer regelmäßig zu spät zur Arbeit erscheinen und deshalb gekündigt werden, muss der Arbeitgeber in diesen Fällen beweisen, dass Verspätungen vorlagen und diese auch vom Arbeitnehmer verschuldet waren.  Wenn nun der Arbeitnehmer schon selbst in diesem Kündigungsschutzverfahren sagt, dass er sich verspätet habe, weil er verschlafen hatte, dann greift der Anscheinsbeweis: Der Arbeitgeber muss hier nicht auch noch zusätzlich beweisen, dass der Arbeitnehmer sein Verschlafen verschuldet hat. Denn nach allgemeiner Lebenserfahrung ist erstmal davon auszugehen, dass – wenn jemand verschläft – er selbst daran schuld ist. Der Arbeitnehmer kann dann versuchen, diesen Anscheinsbeweis zu erschüttern. Im vorliegenden Fall behauptete der Arbeitnehmer, dass sein Kind den Stecker des elektrischen Weckers gezogen habe und er deshalb nicht rechtzeitig aufgewacht sei. Das Gericht glaubte ihm allerdings nicht (Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Urteil vom 08.09.2004 – 2 Sa 66/04). Der Anscheinsbeweis schlug damit durch.

 

Kann ich wegen Zuspätkommens gekündigt werden, weil ich am Vortag länger arbeiten musste? 

Hier muss wie folgt unterschieden werden: Mussten Arbeitnehmer länger arbeiten und war dies im Rahmen der gesetzlich erlaubten Mehrarbeit, so muss der Arbeitnehmer trotzdem am nächsten Tag pünktlich zur Arbeit erscheinen. Hat der Arbeitnehmer dagegen deutlich länger arbeiten müssen als gesetzlich erlaubt, kann das Zuspätkommen am Folgetag erlaubt sein.

 

Ist die zu lange Umkleidezeit ein Kündigungsgrund?

Grundsätzlich ist die Umkleidezeit auch Arbeitszeit, wenn es sich um besonders auffällige Dienstkleidung handelt (Bundesarbeitsgericht Urteil vom 25.04.2018 – 5 AZR 245/17). Der Dienst beginnt dann schon mit dem Erscheinen zur Arbeit. Das anschließende Umkleiden darf allerdings nicht zuviel Zeit in Anspruch nehmen. Wer hier zu lange unnötig trödelt, kann jedenfalls abgemahnt werden. Eine Kündigung dürfte hier jedoch nicht in Betracht kommen, solange damit kein Arbeitsversäumnis oder Arbeitsverweigerung vorliegt.

 

Wann liegt ein Zuspätkommen bei Gleitzeitarbeit vor?

Gleitzeitarbeit liegt vor, wenn Arbeitnehmern ein flexibler Rahmen für den Beginn und Ende der Arbeitszeit vorgegeben, die Arbeit aber innerhalb einer festen Kernarbeitszeit definitiv erbracht werden muss.

Beispiel für Gleitzeit

Der Arbeitnehmer kann seine Arbeit von 6.00 Uhr bis 8.00 Uhr beginnen und zwischen 14.00 Uhr und 17.00 Uhr beenden (Gleitzeit). Er muss jedoch zwischen 8.00 Uhr und 14.00 Uhr arbeiten (Kernzeit).

Zwar haben Arbeitnehmer hier eine gewisse Flexibilität, da sie innerhalb des vorgegebenen Rahmens selbst entscheiden können, wann sie mit der Arbeit beginnen und sie beenden wollen. Ein Zuspätkommen kann jedoch bei Verstößen gegen die Kernarbeitszeit dennoch vorliegen.

 

Wenn es mir gesundheitlich schlecht geht, darf ich dann ständig zu spät zur Arbeit erscheinen?

Nein, die Gesundheit ist grundsätzlich kein Argument, um regelmäßig unpünktlich zu erscheinen. Das ist eine häufige Rechtfertigung von Arbeitnehmern, die allerdings vor den Arbeitsgerichten nicht durchgreift. Sollten Arbeitnehmer gesundheitliche Probleme haben, wegen derer sie nicht pünktlich zur Arbeit erscheinen können, müssen sie andere Maßnahmen ergreifen (beispielsweise das Gespräch mit dem Arbeitgeber oder mit dem Arzt suchen, sich arbeitsunfähig melden, versuchen die Arbeitszeiten zu ändern, wenn möglich, eventuell eine Überlastung dem Arbeitgeber anzeigen etc.). 

 

Kann ich gekündigt werden, weil ich die Pausen überziehe?

Dies hängt davon ab, ob der Arbeitgeber vorgegeben hat, wie lange die Pausen dauern dürfen. Das Arbeitszeitgesetz selbst gibt lediglich eine Mindestdauer von Pausen an, keine Höchstdauer, §§ 3, 4 Arbeitszeitgesetz. Hat der Arbeitgeber eine Höchstdauer für die Arbeitnehmer festgelegt, so kann die Überziehung der Pausenzeit eine Pflichtverletzung darstellen. Diese Pflichtverletzung kann abgemahnt werden. Bei wiederholten und vor allem beharrlichen Verstößen dieser Art kann auch eine Kündigung in Betracht kommen.